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Judith Hermann, 46

© Gaby Gerster/S. Fischer Verlag

"Lettipark" von Judith Hermann: In leeren Räumen

Gut möglich, dass wir in tristen Zeiten leben: Judith Hermann und ihr schön wohliges Unbehagen ausstrahlender Erzählungsband „Lettipark“.

Der Lettipark? „Ein gewöhnlicher, trostloser Park am Stadtrand, eine Brache, und es gab gar nichts zu sehen, verschneite Wege, ein verlassenes Rondell, Bänke und eine leere Wiese.“ Der Ort also, der Judith Hermanns neuem Erzählungsband den Titel gibt, ist ein Unort. Nicht spektakulär, nicht bemerkenswert, nicht schön. Noch nicht einmal dezidiert hässlich, andererseits. Der Lettipark wirft eine entscheidende Frage im Zusammenhang mit dem Erzählungsband auf: Ist er programmatisch zu verstehen im Sinne einer ästhetischen Ausrichtung? Ist er erratisch? Oder schlicht vollkommen egal?

Judith Hermanns Texte lassen sich nicht unvoreingenommen lesen, nicht mehr. Auf jedem Buchstaben, auf jedem Wort lastet ein Gewicht. So voll von Erwartungen, vorweggenommenen Zuschreibungen, Mystifizierungen ist alles, was mit dieser Autorin in Verbindung steht. Die große Weglasserin. Die, die nichts aussprechen muss und gerade dadurch alles sagen kann. Dafür ist, zugegeben, die Literaturkritik zum Teil mitverantwortlich, allerdings ist es durchaus imagefördernd, die Aura der weltentrückten Distanz, die Hermann umgibt, zu pflegen.

In jeder Erzählung gibt es Widerhaken

Die große Kurzfasserin hat sich im neuen Erzählungsband noch kürzer gefasst: Manchmal sind es nur sechs Seiten, und schon ist alles vorbei, manchmal zehn, allerhöchstens zwölf. Und die Grundregel für „Lettipark“ lautet: Je kürzer die Erzählungen, desto schlechter sind sie. Möglicherweise hat man sich gewöhnt an diesen kalten, ungerührten Ton, weil seit Hermanns Debüt „Sommerhaus, später“ sehr viele Autoren so schreiben. Womöglich aber ist er auch ein Anachronismus geworden; vielleicht ist mit „Lettipark“ (oder schon mit „Aller Liebe Anfang“, Hermanns erstem Roman aus dem Jahr 2014) der Punkt erreicht, an dem der Effekt, den die Technik der Radikalbeschneidung hervorruft, in das Gegenteil dessen umkippt, worauf er ursprünglich angelegt war: Quälend laut dröhnt ab und an das Pathos. Die Abgründe des Banalen und die abgrundtiefe Banalität liegen in „Lettipark“ in jeder Erzählung so dicht beieinander, dass sie stellenweise nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Wenn es so etwas gibt, dann liegt ein wohliges Unbehagen als Grundstimmung über dem Buch.

Hier geschieht nichts, hier transzendiert sich nichts

Da ist eine Geschichte, sie heißt „Papierflieger“. Eine Frau, alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen, möchte zu einem Vorstellungsgespräch „in die Sozialstation. Zur Krisenstelle. Dieses Haus für Leute, denen es nicht so gut geht.“ Das erklärt die Frau einem Freund, den sie herbeiruft, um auf die fiebernden Söhne aufzupassen. Der Freund kommt, die Frau geht zu ihrem Termin, später kommt sie zurück, das Gespräch lief gut, und gemeinsam werfen die vier ein paar selbst gebastelte Papierflieger in die Dunkelheit. Das war’s. Es gibt in jeder der Erzählungen einen kleinen Widerhaken, ein Motiv, das potenziell geeignet wäre, die enge Welt aufzureißen und über sich selbst hinauszuführen. So auch die Papierflieger. Nur verpuffen diese Motive leider zumeist wirkungslos.

Anders gesagt: Der viel beschworene Raum zwischen den Zeilen ist leer und bleibt auch leer. Es geschieht dort nichts, es transzendiert sich nichts. Die Strategie, dass sich anhand dieser dünnen Existenzscheibchen, die Judith Hermann herausschneidet, die Tragik ganzer Leben potenzieren könnte, geht nur selten auf.

"Lettipark" ist ein seltsames Buch

Es gibt unter den 17 Erzählungen zwei oder drei überraschend geglückte. In „Zeugen“ sitzen zwei Männer und zwei Frauen in einem Fischrestaurant, und plötzlich erzählt einer von einer nächtlichen Begegnung mit Neil Armstrong, dem ersten Mann auf dem Mond. Vielleicht eine ausgedachte Begegnung, vielleicht auch nicht. Am Ende des Abends steht eines der Paare auf einer schwankenden Brücke und schaut auf den vom Mond beleuchteten Fluss. Man spürt, dass da vorher etwas war und noch etwas kommen wird.

Plötzlich funktioniert alles, die Bilder, der Rhythmus der Sprache, die Stimmung, und man ahnt, dass Judith Hermann sehr wohl in der Lage ist, von der Fragilität der Welt zu erzählen, von der Zufälligkeit der Liebe, vom Vergehen der Schönheit. Und dann wiederum gibt es in ihrer aufgeblasenen Hohlheit peinigende Sätze: „Ihre Haare waren so verfilzt, als würde sie den ganzen Tag im Bett liegen, rauchen, die Asche auf den Boden schnippen und die Beine breit machen.“

Ein merkwürdiges Buch. Merkwürdig auch, weil Judith Hermann, das ist nicht neu, ihre Figuren allein schon durch die Namensgebung offenbar kalkuliert süßlich parfümiert. Was sollen wir anfangen mit all diesen Adas und Sophias und Elenas und Lukes und Sammis? Sollen, wollen wir sie noch immer lesen als Symptome eines Lebensgefühls? Wenn dem so wäre, lebten wir in tristen Zeiten. Aber vielleicht ist es ja auch: genau so.

Judith Hermann:  Lettipark. Erzählungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2016. 192 Seiten, 18, 99 €.

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