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Kultur: Letzte Ausfahrt Ehrenfeld

Kadir Sözens Köln-Film „Gott ist tot“ mit Götz George

Noch nicht sechzig hat Heinrich Lutter (Götz George) schon keine Arbeit mehr und auch nicht viel Freude am Leben. Jeden Tag bastelt er an einem alten VW-Bus, bis nur noch die Gardinen fehlen, um darin wohnen zu können. Dafür will Gisela, die in der Nachbarschaft eine Fleischerei betreibt, gern sorgen, wenn Heinrich sie nur mitnimmt ins sonnige Italien. Doch dazu wird es nicht kommen. Das Sozialamt hält das Fahrzeug für einen Vermögenswert und sperrt die Stütze. Heinrich schraubt das Nummernschild ab, da lässt die Polizei den Bus abschleppen. Nur ein Handstreich kann noch helfen, aber dem ist Heinrichs Herz nicht mehr gewachsen.

Kadir Sözen, in der Türkei geboren, in der Bundesrepublik aufgewachsen, hat in den Neunzigern mit „Kalte Nächte“ und „Winterblume“ auf sich aufmerksam gemacht. Beide Filme hatten mit der Türkei zu tun. Im dritten Werk, das im Kölner Arbeiterviertel Ehrenfeld angesiedelt ist und größtenteils dort an Originalschauplätzen entstand, kommen Türken nur am Rande vor. Doch etwas erinnert an andere deutsch-türkische Kinoarbeiten. Wieder agiert ein unbarmherziger Pate, der seine Rechnungen nicht vergisst, im Hintergrund. Am Ende fungiert Heinrich nur als ein bedauernswerter Spinner am Rande eines Milieus, dessen Herrschaft weniger in den Händen der deutschen Ämter als in der Macht einer skrupellosen Bande zu liegen scheint. Die wenig überraschende Gangstergeschichte überrollt die schöne, fast neorealistische Story.

Wie die Bürokratie, an Paragraphen geklammert, mit dem verarmten Mann umgeht, treibt den Zorn ins Gesicht, wie ein Kölner Al Capone gnadenlos Unterwerfung verlangt, lähmt den Betrachter. Sözen macht Heinrichs Geschichte klein, in dem er auf ein bekanntes Terrain ausweicht und dessen düsteren Reiz (Kamera: Axel Block) filmisch auskostet. Götz George kann da nur Mitleid und nochmals Mitleid auf sich herabziehen. Mit verhangenem Blick hat Heinrich das Unheil über seinen Sohn Mike (Markus Knüfken) hereinbrechen sehen und, um es zu verhüten, die Polizei vor der krummen Tour für den Dealer Dolle (Michael Lott) gerufen. Entfremdung hat er bewirkt. Der gute Mensch von Köln-Ehrenfeld steht als schrullige Person allein auf der weiten Flur, die das Verhängnis beherrscht. Wie um diesen Eindruck zu unterstreichen hat Sözen, der wieder sein eigener Autor und Produzent war, dem auf Abwege geratenen Sohn einen debilen jüngeren Bruder zur Seite gestellt, dessen Schreien und Stöhnen den passenden Resonanzboden des Elends abgibt.

Kadir Säzen, der früher als Journalist arbeitete, reicherte die vielsagende Anekdote um Heinrich, dem die Ketten der Sorge das Herz zerbrechen, mit derart vielen Nebenvorgängen und Nebenfiguren an, dass er zwischen den Stoffmengen in Atemnot geriet. Da wird vieles im Schnelldurchlauf abgehandelt. Obendrein leiden die Dialoge unter der Musik- und Geräuschkulisse. So wie Götz George kaum einmal aufschauen und einen Überblick gewinnen kann, so bleibt auch dem Zuschauer nur das erschrockene Miterleben. Georges meist leises Sprechen, fast schon ein Murmeln, signalisiert Sprachlosigkeit unter einem verschlossenen Himmel. „Gott ist tot“, der Satz fällt einmal nebenbei, ist aber als Titel viel zu bedeutungsschwer. Der Film traut dem Zuschauer im Grunde auch keine Botschaft zu, sondern überlässt ihn wie seine Figuren einer fatalen Weltsicht ohne Hoffnung.

Toni und Tonino

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