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Kultur: Letzte Ausfahrt Sixties

Volksbühnen-Prater: Gob Squad zu Besuch in Andy Warhols „Kitchen“

Eine breite Leinwand-Wand, darauf drei nebeneinander projizierte Bilder. Das mittlere zeigt eine Küche, in der vier Sixties-Hipster in quergestreiften Sixties-Shirts eine Party feiern: Witze, Drogen, doofe Tänze, einer stellt sich auf den Tisch und lässt die Hosen runter, aus den Boxen dengeln Velvet Underground. Irgendwann reicht’s, eine Gestreifte verlässt die Küche, kommt hinter der Leinwand hervor, stellt sich klein und echt und in Farbe ihren Kollegen entgegen. Die gucken riesig und schwarzweiß in die Kamera: „Komm zurück! Draußen ist doch alles schon passiert! Hier ist alles NEU!“

Aber die Sixties-Party ist vorbei. Das wissen Gob Squad und starten trotzdem eine neue, in ihrer Performance „Kitchen“ im Volksbühnen-Prater. Ausgangspunkt ist Andy Warhols gleichnamiger Film von 1965, einer Zeit, in der alles begann: „Avantgarde, Rock’n’ Roll, Sex, Drogen, Reality-TV“. Sean Patten, Berit Stumpf, Sarah Thom und Bastian Trost steigen hinein in die „Kitchen“ (und in andere frühe Warhol-Filme wie „Sleep“, „Eat“, „Haircut“ und „Blowjob“), als wäre der Film einer jener Pappkartons, die Warhol als „Zeitkapseln“ mit Gegenwartskrimskrams füllte. Und spielen ernüchtert-belustigt mit dem, was sie darin finden.

Langsam Senf aus einem Glas löffelnd, schmeckt Bastian Trost der 40-minütigen Pilzknabber-Meditation „Eat“ nach. Sean Patten guckt auf dem rechten Bildfenster unbewegt in die Kamera – wie Warhols Probanden in den „Screen Test“-Charakterstudien. Und Sarah Thom bekommt bei dem Versuch, vor der Kamera zu schlafen wie im Sechs-Stunden-Experiment „Sleep“, kaum ein Auge zu. Kein Wunder: 1963 konnte Warhols Lover John Giorno noch unschuldig schlummern: „Er weiß nicht, dass ihn die Drogen kaputtmachen (...) – und Aids war auch schon auf dem Weg.“ Das waren noch Zeiten. „You’ve never had it so good“ lautet der Untertitel des Stücks.

Ein Abend, der keine abgeklärte Insider-Veranstaltung sein will, sondern eine gutgelaunte Aktualisierung durch Ironisierung. Und eine intelligente Selbstvergewisserung. Wie bereits bei Polleschs „Prater-Saga 3“ holen sich Gob Squad Zuschauer auf die Bühne, und wenn die nun – für 15 Minuten oder länger – zum Gob- Squad-„Superstar“ werden, zeigen sich plötzlich Traditionslinien. Und wenn die live gecasteten Freiwilligen den Performern Körper und Stimme leihen und sie am Ende auf der Leinwand vollkommen ersetzt haben, von der Tribüne aus instruiert und mit Sprechtext versorgt per Headset und Mikrofon, dann passt das zu der Anekdote, wie Andy Warhol einst einen silberhaarigen Doppelgänger auf Vortragsreise schickte.

Gob Squad blicken auf die Wurzeln von Popkultur – und auf ihre ganz persönlichen Anfänge. Erster Sex. Jugend musiziert. Greenpeace. Die alten Ichs. Und heute? „Hast du das Gefühl, dies hier ist DEINE Zeit?“ fragen sie ihre Superstars. Gob Squad jedenfalls wirken im souveränen – und höchst unterhaltsamen! – Spiel mit den alten Codes sehr gegenwärtig. Mit jedem „Kitchen“-Abend packen sie einen neuen Karton voll mit teilweise unvorhersagbarem Jetzt. „Wir sind die Essenz UNSERER Zeit“, heißt es an einer Stelle, „in 100 Jahren wird man sich UNS hier angucken“.

Wieder am 2., 14. und 15. April, 15. und 16. Mai, 20 Uhr.

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