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Kultur: Letzte Ausfahrt Stille

Man vergisst ja gerne, was Kunst eigentlich ist. Der tägliche Kulturstress verbietet derlei Überlegungen.

Man vergisst ja gerne, was Kunst eigentlich ist. Der tägliche Kulturstress verbietet derlei Überlegungen. Erst, wenn man sich dem äußersten Rand nähert, dem untersten Underground, fällt es einem wieder ein: Kunst ist, wenn die Unterscheidungen, mit denen wir uns die Welt begreiflich machen, zusammenbrechen.

Deshalb ist das "Festival of Exiles" im Prater Kunst. Da tritt ein Mann namens Haider auf. Kein Politiker, noch nicht mal Österreicher. Ein Afghane, Kamal lautet sein Nachname. Haider Kamal steht auf der Holzbühne, streckt die Arme nach vorne, feierlich: "Liebe Freunde", beginnt er, "was für ein Glück, dass ich hier bin und diese Musik spielen kann. In Afghanistan ist Musik verboten". Afghanische Volkslieder will Haider Kamal vorstellen. Allerdings hat er sie angereichert mit Rhythmen aus dem Keyboard, die an Kylie Minogue erinnern, mit synthetischen Panflöten, die seinem Auftritt etwas vom Flair der B-Movies geben. Über Kamals Kopf hängt ein großes Tuch mit rauchenden Pistolen drauf. "Blam! Blam! Blam!" steht darunter. Und daneben: "Ha! Ha! Ha!".

Man ist vom Prater und dessen "Bastard"-Club ja einiges gewohnt, doch dieser Trash übertrifft alles. Wer hier auftritt ist ein Außenseiter, auf ganzer Linie. Die Künstler leben nicht nur im Exil, auch ihre Musik ist heimatlos. Zum vierten Mal treffen sie sich hier an zwei Abenden, um ihre sonderbaren Klänge bekannt zu machen. Es ist der ernsthafte Versuch, die postmoderne Utopie einer Kunst ohne Kategorien umzusetzen.

Doch die improvisierenden Gruppen machen sich von Wiederholungen nicht frei. Je mehr alte Klischees die engagierten Musiker vermeiden wollen, desto leichter drohen die neuen. Und dennoch gibt es Momente, die die Sinne verwirren. Wenn Le Quan Ninh kleine Becken über die Trommel zieht, so dass es quietscht wie Kreide auf einer Schultafel. Wenn der Geiger Jon Rose mit seinem Bogen an den Saiten rüttelt, so perkussiv wie ein Pressluftbohrer.

Am überzeugendsten aber agieren jene Musiker, die sich einfallsreich an altem Material abarbeiten. Die Gitarristen Silvia Ocougne und Chico Mello etwa dekonstruieren den Bossa Nova-Klassiker "Girl from Ipanema" von Antonio Carlos Jobim. Jeder singt eine Note der Melodie, dazwischen liegen Pausen, die immer länger werden. Am Ende nur noch Stille: Die letzte Ausfahrt vor dem Kitsch.

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