zum Hauptinhalt

Kultur: Letzte Worte

BERLINALE SPECIAL Werner Herzog begleitet in „Death Row“ vier Todeskandidaten.

Der letzte Weg ist kurz. Über den peinlich gereinigten Fußboden geht der Todeskandidat an einem Tisch mit Bibeln in Englisch und Spanisch vorüber. An der Wand das Telefon, das womöglich in letzter Sekunde den Aufschub verkündet. Dann die Liege in einer hell erleuchteten Zelle, auf der der Verurteilte mit ausgestreckten Armen wie am Kreuz festgeschnallt wird. Seitlich davon das Fenster, durch das die Zeugen des legalen Tötungsaktes auf die Szene blicken. In Huntsville, Texas, hat man sich auf die Giftspritze als Verfahren geeinigt. Auge um Auge, in geregelten Verfahren angewendet, das sei amerikanische Kultur, wird dem recherchierenden Regisseur Werner Herzog erklärt.

In „Death Row“, einer eindrücklichen Erkundung dieser Todeszone, nähert sich die Kamera dem Schauplatz der klinisch sauberen Exekutionen im selben Blickwinkel, den ein Todeskandidat im Gefängnis von Huntsville einnimmt. Vier Mal sieht man diese Annäherung und hört dazu die Stimme von Werner Herzog, der Daten und Fakten zur Todesstrafe erläutert und seine Haltung deutlich macht. Als Gast des Landes, in dem er seit Jahren lebt, äußert er „respektvoll, nicht mit der Todesstrafe einverstanden zu sein“.

„Death Row“, eine vierteilige Serie, die einzeln fürs Fernsehen produziert wurde, wird während der Berlinale als dreistündiger Kompilationsfilm vorgeführt. Obwohl über weite Strecken ein Film der sprechenden Köpfe, weitet sich der Horizont der vier Täterportraits immer wieder auf eine überraschend widersprüchliche Weise. Herzog stellt klar, dass sein Interesse an einem persönlichen Gespräch mit dem Vergewaltiger, Pyromanen und Mörder James Barnes nicht notwendig bedeute, dass er ihn mag.

Herzog gelingt eine Serie höchst widersprüchlicher Intensivrecherchen, in denen Täter, unter ihnen die einzige Frau Linda Carty, die Morde, die ihnen zur Last gelegt werden, aus ihrer Sicht erzählen und meist abstreiten. James Barnes, Hank Skinner und zwei Bandenmitglieder der „Texas Seven“, Joseph Garcia und George Rivas, stehen für trostlose Lebensumstände, emotionale Verrohung und drogenbedingte Gewalttätigkeit, die Gespräche dringen jedoch hinter die schaurige Aura der Verbrechen und offenbaren die Reflexionen der Täter über ihre Taten, wenn auch meist gefärbt durch ihre Verteidigungsrhetorik, mit der sie der Todesstrafe zu entkommen versuchen.

Die Gespräche finden meist durch die Glasscheiben der Besucherkabinen im Hochsicherheitsgefängnis statt. Trotz dieser Barriere erreicht es Werner Herzog, wenn er beispielsweise fragt, was seine Interviewpartner träumen, sie als Menschen zu zeigen. Kaum beginnt man jedoch, sich auf die Glaubwürdigkeit der persönlichen Geschichten einzulassen, setzt Herzog seine Täterstudien wie ein Ermittler fort. Er reist zu den Tatorten, sucht Polizisten, Zeitungsleute, Familienmitglieder, Verteidiger und Staatsanwälte auf, rekonstruiert die Beweislagen und ihre oft fragwürdige Interpretation durch die Gerichte, bevor er die Todeskandidaten ein zweites Mal im Gespräch mit seinen Recherchen konfrontiert.

„Death Row“ ist eine faszinierend authentische Begegnung mit Menschen in einer Extremsituation, nicht zuletzt auch eine Konfrontation mit einer verwickelten, von Ressentiments belasteten juristischen Maschinerie, die Recht zu sprechen glaubt.

13.2., 15 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 16.2., 11 Uhr (Teil 1+2, Cinestar 2), 17.2., 9.30 Uhr (3+4, Cinestar 2)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false