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Kultur: Licht der Jahre

Der alte Traum – und das neue Glück mit 66: Bob Dylan in der Berliner Max-Schmeling-Halle

Es war Robert Plant, Sänger des legendären, lange schon vom Himmel verschwundenen Led Zeppelin, der in einer britischen Musikzeitzeitschrift den Verdacht äußerte, Bob Dylan sei verliebt! Damals, im August vergangenen Jahres, konnte man über Dylans neues Album „Modern Times“ nur staunen und große Ohren machen. So zart und weise swingend kommen die Songs daher, aus den Tiefen der amerikanischen Kultur, ja, aus den Tiefen eines Herzens, das immer lieber eine Mördergrube aus sich gemacht hat, als sich zu offenbaren. Und nun diese Töne. Und die Nr. 1 in den Charts!

Dylan privat? Da weiß man traditionell wenig, selbst der erste Band seiner Autobiografie „Chronicles“ gab keine intimen Details preis. (Vielleicht gibt es für Dylan nichts Intimeres als sein ständig sich wandelndes Werk.) Das Dylan-Biopic, das Regisseur Todd Haynes jetzt beim Filmfestival in Cannes vorstellen wird, heißt auch schon wieder typisch-kryptisch „I’m Not There“. His Bobness wird da von einer Handvoll Hollywood-Stars verkörpert, durch die diversen Epochen seiner Karriere: Christian Bale, Heath Ledger, Richard Gere und, tatsächlich, Cate Blanchett (als „Blonde-on-Blonde“-Bob mit Wuschelkopf und Sonnenbrille).

Aber wir schweifen ab. Und während wir uns noch wundern, weshalb das Dylan-Konzert in der vollen Berliner Max-Schmeling-Halle schon um 19.30 Uhr beginnt, legen die da oben (wie stets superpünktlich!) in einer Art und Weise los, die wieder nur verblüfft. Normalerweise hebt er an mit Songs wie „Cat’s in the Well“ oder „Tweedle Dee & Tweedle Dum“, flachen Anheizern. Plötzlich holt er hier seine „Absolutely Sweet Marie“ heraus, hat nach langer Pause wieder die E-Gitarre umgehängt, wir lesen die Signale: Es wird ein gutes Konzert. „Don’t Think Twice“ im federleichten Country-Trab, man möchte aufsatteln und muss sogleich den ersten Eindruck korrigieren. Denn Berlin erlebt keinen guten, auch keinen sehr guten, sondern einen fantastischen Dylan-Auftritt.

Wir treffen nachher einen eingefleischten Dylan-Fan, der in Tränen aufgelöst am Bierstand steht und stammelt, so etwas habe er in Jahrzehnten nicht erlebt. Aber was? Was macht Dylan schon wieder und noch einmal so groß, mit bald 66 Jahren? „My Back Pages“, frisch aufgeblättert. „I was so much older then / I’m younger NOW“ skandiert er mit ironischer Emphase. Hört Ihrs? Und um sein „It’s Alright, Ma“ zu paraphrasieren, das er als vierte Nummer bringt (danach wechselt er ans Keyboard): „Something is happening, and you don’t know what it is“. Etwas geht vor sich mit Bob Dylan, etwas definitiv Gutes, Schönes. Glück im Konzert, Glück in der Liebe . . .

Dylan hat seinen selbstzerstörerischen Zynismus abgelegt. Er artikuliert und phrasiert mit einer dynamischen Präzision, die man ihm nicht mehr zugetraut hat. Seine fünfköpfige Band erreicht eine professionelle Lässigkeit, einen Reichtum an Variation, die den Blues übergangslos zum Hard-Rock hinspielt und mit einer Eleganz zu schwebenden Balladen wechselt, die etwas Sinfonisches hat.

„When the Deal Goes Down“ und „Nettie Moore“ (von „Modern Times“) liegen irgendwo in der Zwielichtzone zwischen Leonard Cohen und Tom Waits – und weit darüber. Schlagartig begreift man, was Dylan von anderen Großen, von Rockstars zumal, so grundsätzlich abhebt. Keine Show, keine Pose, selbst die unsicher-arrogant wirkenden Attitüden früherer Zeiten haben sich verloren. Nur der Mann und seine Musik, seine Verse, seine unstillbare Sehnsucht nach dem amerikanischen Klang.

Als sei Dylan vor Ewigkeiten in eine Diamantenmine hinabgestiegen, und jetzt ist er fast am Ziel. Seine Songs, selbst das abgenudelte „Blowin’ in the Wind“, sind hier ausgeglüht und geschliffen, kostbar und facettenreich wie nie. „Desolation Row“. Das Meisterstück dieser gewaltigen zwei Stunden. Er rezitiert, rhapsodiert, ein weißer Rabe im Fenster zur Apokalypse. Ein narratives Genie. Die Bildwelt der Songs der Sechziger, gesättigt vom Vietnamkrieg („They’re selling postcards of the hanging“), saugen den Wahnsinn des heutigen Amerika auf. Wie viele Präsidenten hat er überlebt.

Die Zugaben. „Thunder on the Mountain“, „All Along the Watchtower“. Das spielt er immer. Nun noch klarer. Einfacher. Gruselig, die alte Geschichte vom Joker und vom Dieb. Bob Dylan hat uns an diesem Abend die Karten neu gelegt.

Rüdiger Schaper

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