zum Hauptinhalt

Kultur: Licht werfen

Geisterhaft: ANTHONY MCCALL projiziert Skulpturen in den schwarzen Raum.

Man muss sich die Lichtskulpturen von Anthony McCall in einem New Yorker Loft vorstellen. Nicht in den zu Tode sanierten Luxusquartieren der Gegenwart. Sondern zu Beginn der siebziger Jahre, als die verlassenen Hallen noch staubten und die Besucher temporärer Kunstorte wie verrückt rauchten. Das Ergebnis waren dunstige Säle, in denen man nicht bloß die Bilder an der Wand sah. Sondern auch den Lichtkegel, der vom Projektor durch den Raum strahlte. Eine körperlose Erscheinung, die McCall faszinierte – selbst als er nach „Line Describing a Cone“ von 1973 die filmische Arbeit für Jahrzehnte verwarf, weil sie seinen Ansprüchen nicht gerecht wurde.

Der Film, die Performance, das Medium. Für den 1946 in London geborenen Künstler bilden diese Elemente eine Einheit. McCall hat lange über ihre Visualisierung nachgedacht. Doch erst das technische Equipment der Gegenwart macht jene begehbaren Installationen möglich, wie sie nun die Ausstellung „Five Minutes of Pure Sculpture“ in der nachtschwarzen Haupthalle des Hamburger Bahnhofs vorführt. Riesige Hüllen aus Licht, die man umrunden kann, um ihre Dimensionen zu erkunden. In die man aber auch eintaucht und Teil einer beweglichen Skulptur wird, deren Form sich nahezu unmerklich verändert.

Sichtbar wird dies an den geschwungenen Linien auf dem Boden. Es sind Projektionen am Ende der Lichtschleier, die ein Rechner erzeugt und deren langsames Wandern komplexer programmiert ist, als man optisch wahrnimmt. Tatsächlich wirken die Installationen „Between You and I“ (2006) oder „Coupling“ (2009) mit einfachsten Mitteln gemacht: einem Projektor, der das Licht entweder wie im Kino quer durch den Saal schickt oder als Kegel von oben nach unten fallen lässt. Und Nebelmaschinen, die den Schein überhaupt erst sichtbar machen. Schließlich wird im Museum nicht mehr geraucht wie in jenen Lofts, in denen McCall seine Experimente begann. Das Ergebnis ist beeindruckend. Trotz ihrer gigantischen Dimensionen wirken die Lichtskulpturen ephemer. Situative Installationen, die den Begriff des expanded cinema noch einmal erweitern, indem sie die filmischen Projektion begehbar machen. Der Besucher wird zum Performer, weil er die Form der Skulptur mit seinem Körper verändert, den Lichtfluss oder die Zeichnungen auf dem Boden unterbricht.

Sieben imposante Arbeiten fächern McCalls Idee von der Kunst mit filmischen Mitteln auf. Einzig „Leaving (With Two-Minute Silence)“ wird von einem Soundtrack begleitet – ein leises Rauschen wie aus der Natur. Wer mehr über Anthony McCall erfahren will, der lange Zeit vom Kunstbetrieb kaum mehr wahrgenommen wurde, den man nun seit einigen Jahren wiederentdeckt und im Zuge der Olympischen Spiele 2012 in London gleich mit einer gigantischen Lichtinstallation beauftragt hat, der muss den Hamburger Bahnhof verlassen. Die Galerie Sprüth Magers präsentiert drei seiner frühen Filme, die noch vor dem Umzug nach New York 1973 entstanden. McCall performt hier mit Feuer, Wind und weißen Laken in der damals noch ländlich geprägten Umgebung von London. Und auch wenn diese gemeinsam mit dem britischen Künstler- und Musikerkollektiv „Exit“ entstandenen Aufzeichnungen noch immer intensiv auf den Betrachter wirken und zur Skulptur gewordene Natur im Bild fixieren, versteht man doch, was den Künstler rastlos umgetrieben hat: die Idee, dass es nicht bei der filmischen Dokumentation bleiben sollte. Dass man stattdessen irgendwann in seinen Film einsteigen und Teil jener Skulptur werden kann.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50, bis 12. 8., Di-Fr 10-18 Uhr, Sa 11-20 Uhr, So 11-18 Uhr / Galerie Sprüth Magers, Oranienburger Str. 18, bis 16.6., Di-Sa 11-18 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false