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Kultur: Lichtkreis und Schattenspiel

Die Galerie Johanna Breede ehrt den amerikanischen Fotografen Louis Stettner mit einer Ausstellung.

Jäh flattern die Tauben am Kai auf. Hinter ihren verwischten Flügeln schaut unverwandt vom Ufermäuerchen ein Pariser ins Bild – mit Baskenmütze und ebenso obligatem Glimmstengel im Mund. Auf einem anderen Foto hockt zwischen Korbstühlen eine junge Dame mit geradezu paralysierendem Blick, während die Fensterscheiben des Pigalle-Cafés Besucher im Inneren wie auch die Hotels des Vergnügungsviertels spiegeln. Versunken ist Freund und Kollege Bobat inmitten einer Reihe von Aperitif-Gläsern, während Schneekristalle auf seinem Hut davon künden, dass er gerade erst ins Café hereinschneite. Auf einer Seine-Brücke bockt ein kleiner Junge, den die Mutter zum Weitergehen zwingen möchte.

Louis Stettner versteht es seit über 70 Jahren, verbrauchte Motive wie das Paris der Flaneure und Liebespaare frisch zu inszenieren. Wesentliches Stilmittel ist die Besinnung auf die etymologischen Wurzeln der „Photographie“, elementar sein virtuoses Wechselspiel aus Schärfe und Verschwommenheit, das kalkuliert ist und dennoch Atmosphäre stiftet. „The first Ninety Years“ hat die Galerie Johanna Breede in Anspielung auf seine nicht zu bremsende Schaffenslust die kostbaren Aufnahmen des 1922 in Brooklyn Geborenen genannt. Die Preise bewegen sich zwischen 2800 und 4200 Euro, je nach Motiv und Größe. Parallel zur Berliner Schau richtete die Pariser Bibliothèque Nationale Stettner eine Retrospektive aus. „New York ist wie eine Mutter für mich – Paris wie eine Geliebte“ fasst Stettner die Affinität zu beiden Schauplätzen zusammen. Über Jahrzehnte hinweg hat er das Lebensgefühl und die Wandlungen in beiden Metropolen eingefangen. Die Menschen in den New Yorker U-Bahnen der unmittelbaren Nachkriegszeit wirken skeptisch und erschöpft. Inmitten all der Geschäftigkeit der ehrwürdigen, 1963 abgerissenen Bahnhofskathedrale zeigt uns Stettner ein kleines Mädchen ganz versunken in sein Hüpfspiel zwischen Lichtkreisen und Schattenzonen. Wie zwei Schimären ragen die Twin Towers aus dem Dunst des Hudson Rivers. Die Konturen sind verschwommen. Dank der Grobkörnigkeit vibriert das WTC. Dies gilt auch für die Lady Liberty, die diffus im Hintergrund ihre Flamme gen Himmel streckt, während im Vordergrund ein schwarzer Junge auf der Stange hockt – als unaufdringliche Metapher dafür, dass die Freiheit für alle gilt.

Seine Sympathie für Outcasts spiegelt sich in einem Obdachlosen in Rückenansicht, der die Nacht auf einer Bank im Central Park verbringt. Der Fotokünstler nimmt die „Photographie" wörtlich und zeichnet mit Licht. Dies gilt auch für das Sujet des versonnenen Liebespaares im „Jardin du Luxembourg“ von 2011: Inmitten der Sonnenflecken umarmen sich die beiden, umrahmt von einem mal opaken, mal durchschimmernden Laubkranz. Im Mittelgrund unterstreicht die Silhouette einer Tänzerin die gelöste Atmosphäre. Stettner hat Paris wieder einmal seine Reverenz erwiesen. Martina Jammers

Galerie Johanna Breede, Fasanenstr. 69, bis 23. 2., Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 11-16 Uhr

Martina Jammers

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