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Kultur: Liebe deine Nächste

Die Götter sind tot, Dieter Bohlen lebt: Über den Umgang der Deutschen mit ihren Stars

Lassen Sie uns über die Liebe reden. Was ist ein Star? Ein Mensch, der von ungewöhnlich vielen anderen Menschen geliebt wird.

Wer Stars anhimmelt, der sehnt sich. Der Fan sehnt sich nach Perfektion, nach etwas Größerem, Besserem, Schönerem, als er oder sie selber es ist. Eine Gesellschaft ohne Stars wäre also eine Gesellschaft ohne Liebe und ohne Träume. Eine solche Gesellschaft müsste sich selber für das Paradies halten. Eine Gesellschaft ohne Stars wäre ein Totalitarismus, in dem jeder, jeder einzelne, an die herrschende Lehre glaubt. Weil es nichts mehr gibt, was größer sein könnte als das Hier und Jetzt.

Aber wie passt das alles auf Dieter Bohlen?

Neben die Stars alten Typs sind Stars neuen Typs getreten, solche, die nicht mehr außerordentlich sein wollen, sondern gewöhnlich. Ihre Aura ist nicht göttlich, sondern alltäglich. Betrachten wir Dieter Bohlen und Verona Feldbusch, zwei der erfolgreichsten deutschen Stars, ohne Häme und ohne das übliche kulturkritische Ressentiment. Wofür stehen sie?

Jedermann und Jederfrau

Dass jeder ein paar Minuten oder ein paar Tage lang berühmt sein kann, weiß heute jeder. Bohlen und Feldbusch sind die Stars, die diese Erkenntnis des Publikums verkörpern. Der Star im Zeitalter seiner Inflationierung. Bohlen und Feldbusch treten auf und inszenieren sich wie Jedermann und Jederfrau, wie eine x-beliebige Zweiwochenberühmtheit aus der Raab-Show. Nur, dass es bei ihnen eben nicht zwei Wochen dauert, sondern zehn oder zwanzig Jahre.

Sie tun so, als ob sie nichts oder fast nichts können (was nicht stimmt), sie tun so, als seien sie ein bisschen dämlich (was nicht stimmt). Bohlen versucht nicht einmal, sympathisch zu wirken.

Jeder Star verschafft seinem Publikum eine Illusion. Die Dieter-Bohlen-Illusion heißt: Aus den zwei Minuten, die du von der Mediengesellschaft jederzeit bekommen kannst, können ohne weiteres zwanzig Jahre echter Starruhm werden.

Bohlen und Feldbusch sind Stars für ein, in gewisser Weise, aufgeklärtes und desillusioniertes Publikum. Dieses Publikum weiß oder ahnt, wie hinter der Fassade der Unterhaltungsbranche manipuliert und inszeniert wird. Es hat nämlich viel gesehen, zumindest im Fernsehen. Das Publikum glaubt zu wissen, dass der Himmel, dort, wo früher angeblich die echten Stars wohnten, leer ist. Viele von ihnen waren in Wirklichkeit ganz anders, als wir geglaubt haben! Sie waren wahrscheinlich alle ein bisschen wie Bohlen. Stimmt ja auch.

So reißt die Säkularisierung auch die Ersatzgötter in den Abgrund. Die Götter sind tot, Dieter Bohlen lebt.

Über die Deutschen und ihr Verhältnis zu ihren Stars wird meistens gesagt: Die Deutschen haben zwar Stars, wie alle, aber sie lassen sie ungern allzu hoch aufsteigen. Es passt gut, dass Dieter Bohlen und Verona Feldbusch so etwas ohnehin nicht vorhaben. Die Deutschen haben außerdem eine sonderbare Lust daran, ihre Stars abzuschießen, sie straucheln und fallen zu sehen: Harald Juhnke, Boris Becker, Klausjürgen Wussow, Sabine Christiansen oder zuletzt Oliver Kahn. Mit anderen Worten: Die Deutschen lieben sadistisch.

Diese These stimmt nicht ganz. Erstens, weil Schadenfreude und Neugier menschliche Grundeigenschaften sind, die es überall gibt. Auch Amerikaner haben sich für den Ladendiebstahl von Winona Ryder interessiert oder für die Trinkgewohnheiten von Elizabeth Taylor. Zweitens, weil das Abschießen der Stars bei uns vor allem von der Boulevardpresse betrieben wird. Die Boulevardpresse ist bei uns mächtiger und wird wichtiger genommen als beispielsweise in Frankreich, aber diese Tatsache hat wahrscheinlich nichts mit unserem – falls es das gibt – Nationalcharakter zu tun.

Drittens: Es ist, langfristig gesehen, eher gut für einen Star, wenn er auf seinem Weg in irgendeiner Weise strauchelt. Erst der Bruch macht ja aus einer langweiligen Karriere eine dramatische Geschichte. Das Leid und die Überwindung des Leides, das erlittene Unrecht, die Narbe auf der Seele – genau das ist es, was die unsterblichen Göttinnen und Götter von den lediglich Erfolgreichen unterscheidet. Was wären Marilyn Monroe, Marlene Dietrich oder Elizabeth Taylor ohne ihr Leid, ohne ihre Abstürze, ohne das Unrecht, das ihnen angetan wurde?

Nein, die Deutschen behandeln ihre Stars gar nicht so schlecht. Es sind eher die deutschen Stars, die anders sind. Sie sind eben genauso wie wir, die deutschen Nichtstars. Genauso selbstmitleidig. Man muss nur einmal die Interviews lesen. Deutsche Stars jammern und klagen gern – über die Presse, über das allgemeine Niveau, über ihre Regisseure, über Deutschland. In seinem ersten Interview nach seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung hat der deutsche Sportstar Boris Becker gesagt: „In diesem Land muss man sich verstecken, wenn man nicht Durchschnitt ist.“

Der deutsche Rekordmeister im Jammern aber ist immer noch Götz George. Dieter Bohlen jammert auffällig wenig.

Stellen Sie sich vor: Sie lieben jemanden. Aber dieser Jemand jammert und klagt die ganze Zeit. Darunter leidet die Beziehung natürlich.

Wir Deutsche sind selbstmitleidig. Das muss wohl so sein. Unsere Vorfahren haben ungewöhnlich viel Schaden angerichtet, und wir nutzen nun jede sich bietende Gelegenheit, um mit großem Tamtam in die Rolle des Verfolgten zu schlüpfen. Wir möchten unheimlich gerne Opfer sein. Sogar unsere Stars denken so. Deutschland hat eine Kultur entwickelt, die auf die Kategorien „Opfer“ und „Täter“ fixiert ist, und selbst in den banalsten Konflikten und alltäglichsten Skandälchen wird von allen Beteiligten meistens als erstes die Opferfahne gehisst.

Und wenn wir, was selbstverständlich vorkommt, unsere Stars demontieren – vielleicht, weil sie zu lange und zu laut geklagt und gejammert haben –, dann leben wir eben ein wenig unsere antiautoritären Impulse aus. Die Durchschnittsdeutschen sind nicht mehr autoritätsfixiert, sondern antiautoritär. Wir sind auch nicht mehr kriegslüstern, sondern zutiefst ängstlich und skrupulös. So hat man uns erzogen. Wir sind genau das geworden, was wir nach dem Willen unserer Nachbarn werden sollten.

Keine Klagen bitte, wenn die Deutschen von heute ein bisschen antiautoritär sind und ein bisschen zurückhaltend, was Kriege angeht.

Zum Star gehört der Faktor Zeit. Die Beziehung zwischen dem Fan und dem Star braucht Zeit, um zu wachsen. Mit den Stars aber ist es in Deutschland leider so ähnlich wie mit den Bahntarifen oder den Radioprogrammen. Kaum hat man sich an etwas gewöhnt, schon kommt eine Sendestrukturreform oder eine Tarifreform, und man findet sich nicht mehr zurecht. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist bei uns das wichtigste Fahrzeug zum Starruhm geworden, weil es so angenehm reformunwillig ist. Sie greifen immer wieder auf die gleichen Leute zurück, sie senden jahrzehntelang die gleichen Serien. So entstehen Stars.

Das Starsystem spielte bekanntlich eine wichtige Rolle bei der Eroberung des Weltmarktes durch die amerikanische Filmindustrie. Bis in die 20er Jahre hinein wollten die meisten deutschen Schauspieler auf keinen Fall Stars sein. Denn Star zu sein, bedeutet meistens, sich auf eine Rolle festzulegen, auf ein Image. Der Star spielt, in den Augen seiner Fans, immer nur sich selbst. Die Rolle dient ihm, nicht umgekehrt.

Die deutschen Schauspieler der Kaiserzeit wollten das nicht. Sie wollten wandelbar bleiben. Große Künstler wollten sie sein, die in den unterschiedlichsten Rollen brillieren, keine Identitäts-Krücken für irgendwelche Proleten. Die ersten, die in Deutschland gegen ein Starsystem kämpften, sind ironischerweise die deutschen Schauspieler gewesen.

Neben anderen Faktoren hat auch genau dies beim Aufstieg des amerikanischen Starsystems eine Rolle gespielt: das Antielitäre der US-Kultur. Denn die Stars sind nun einmal die Fleisch gewordenen Wunschträume der Masse. Man muss das Volk ernst nehmen, man muss es lieben oder wenigstens so tun, als liebe man es, dann liebt das Volk vielleicht zurück, dann entstehen vielleicht Stars. Love buys Love. Die amerikanischen Stars mögen im Einzelfall arrogante Ekel sein, aber das System, das sie hervorbringt, ist antielitär.

Liebe bewirkt Liebe. Wenn man das Volk und seine Träume verachtet, gedeihen die Stars nicht so gut. Sie wachsen trotzdem, denn sie wachsen ja überall, wie der Löwenzahn, aber sie bleiben recht klein.

Vielleicht ist das der Kern des deutschen Star-Problems: Wir mögen uns selber nicht sonderlich. Die meisten von uns haben zu diesem Land, zu seiner Kultur und ganz besonders zu seiner Geschichte ein gebrochenes Verhältnis. Es wäre schlimm, wenn es anders wäre.

Unsere Stars sind wie wir

Aber wie sollen wir da unsere Stars bedingungslos lieben? So, wie die meisten Amerikaner es tun oder die Franzosen, die mit sich selber so wunderbar im Reinen sind, diese selbstbewussten Nationen? Die deutschen Stars verkörpern uns doch. Deutsche Stars sind sehr deutsch, nicht wahr. Deswegen können wir uns nicht fallen lassen, wenn wir sie lieben, es bleibt immer ein Rest von Distanz.

Eine selbstbewusste Nation hat große Stars. Eine nicht so selbstbewusste Nation hat nicht so große Stars.

Aber die meisten von uns sind ganz froh darüber, dass Deutschland keine sehr selbstbewusste Nation ist, trotz Schröder, immer noch nicht. Das, was man an Deutschland lieben kann, ist vielleicht gerade das Gebrochene, die Ängstlichkeit, das Ungeschickte und Unperfekte. Und wenn deshalb der wunderbare Schauspieler Götz George nicht ganz die Verehrung und die Zuwendung bekommt, die er verdient hat und die das Publikum seinem amerikanischen Kollegen Bruce Willis bereitwillig gibt, wenn unsere Superstars Dieter Bohlen heißen oder Verona Feldbusch, dann ist das ein Preis, den Götz George und Deutschland ganz einfach zahlen müssen.

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