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Kultur: Liebe ist das Allergrößte

Mut zum Minimalismus: Blur geben im Berliner Tempodrom ein herausragendes Konzert

Der Abend beginnt so, wie früher die „Rockpalast“-Nächte im Fernsehen anfingen: mit einem Ansager. „Hallo Berlin!“, ruft Ray Cokes, als er auf die Bühne des nicht ganz ausverkauften Tempodroms geschlurft kommt. Cokes war früher, als er noch bei MTV arbeitete, beinahe selber ein Popstar, inzwischen moderiert er für Arte. „Hier findet heute die wirkliche Star Academy statt“, jubelt er, „hier sind Blur“. Und dann geht der Jubel der dreitausend Konzertbesucher in die Anfangsakkorde von „Ambulance“ über, dem Eröffnungsstück des neuen Blur-Albums „Think Tank“. „I ain’t got nothing to be scared of“, singt Damon Albarn und damit hat der Blur–Sänger natürlich völlig recht: Es gibt nichts, vor dem er sich fürchten müsste, die folgenden beiden Stunden werden zum Triumph. Die gelassene Perfektion, mit der Albarn und seine Mitstreiter ihr Programm absolvieren, ist fast schon furchteinflößend. Beobachtet werden sie dabei von drei Fernsehkameras, die den Auftritt für die Arte-Reihe „Music Planet“ aufzeichnen. „Musik muss man live erleben“, hatte Cokes gesagt, es klang wie ein Seitenhieb auf seinen alten Arbeitgeber. Musikvideos müssen schon verdammt gut sein, um mit dem Mitschnitt eines solchen Konzerts mithalten zu können.

Dabei sah es zuletzt so aus, als ob Blur ihre Zukunft schon hinter sich hätten. Gitarrist Graham Coxon, lange Albarns wichtigster Co-Autor, hatte die Band nach einem Zerwürfnis mit seinem ehemaligen Schulfreund verlassen. Blur zogen sich für die Arbeit an „Think Tank“ (Parlaphone/EMI) in das nordafrikanische Marrakesch zurück, das im Mai erschienene Album klang wie ein Krisensymptom. Von der Melodienseligkeit und den Drei-Akkord-Wundern früherer Platten waren nur noch Spurenelemente vorhanden. Abgesehen von der wunderbar melancholischen Single „Out Of Time“ und ein, zwei anderen Songs blieb die siebte Platte in der vierzehnjährigen Bandgeschichte weit hinter den Erwartungen zurück. Etliche Stücke wirkten geradezu wie begraben unter den überbordernden Weltmusik-, Freejazz- und Progressivrockanleihen.

Doch live ist von der konzeptionellen Überfrachtung, in der die CD erstarrt war, nichts mehr zu spüren. Sänger Damon Albarn, Bassist Alex James und Schlagzeuger Dave Rowntree haben sich für die Tournee mit einem Gitarristen, einem Keyboarder, einem Perkussionisten und einem dreiköpfigen Backgroundchor verstärkt. Albarn, immer noch ein Rebell, trägt eine schwarze Lederjacke, seine Kollegen erscheinen in T-Shirts und Jeans, der Sound ist von der ersten Minute an druckvoll und kantig: Mut zum Minimalismus. Gleich als zweites Stück spielen Blur „Beetlebum“, den Britpop-Hit von 1998, und Albarn zerdehnt seine Stimme beim Refrain ganz besonders kaugummihaft. Das Licht auf der Bühne wechselt von gelb zu rot zu blau, manchmal sind von den Musikern nur die Umrisse ihrer Silhouetten im neblig weißen Gegenlicht zu sehen. Es ist ein Best-of-Abend, die Klassiker dominieren das Programm, in das nur ein paar neue Songs eingestreut sind. Auf „Girls And Boys“ und „Badhead“ aus dem Album „Parklife“ (1994), der vielleicht besten Blur-CD, folgt „Gene By Gene“ aus „Think Tank“. „Song 2“, eine Perle des Brachialrocks, wird punkartig in zwei Minuten runtergerotzt. „Tender“, die Ballade aus dem vorletzten Album „13“ (1999), erweitert sich zum Mitsing-Gospel. „Come on, come on / Love’s the greatest thing“, schmachtet Albarn, und das Publikum antwortet: „Come on, come on.“

Natürlich ist Damon Albarn, als Banddiktator berüchtigt, der dramaturgische Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung. Mitunter geht er theatralisch in die Knie, um die Backgroundsänger zu dirigieren, er drischt wie besessen auf seine Gitarre und läuft immer wieder an die Rampe, um Hände zu schütteln und Köpfe zu streicheln. Und immer ist ein Arte-Mann mit einer Handkamera hinter ihm. Aber Albarn beweist an diesem Abend vor allem eins: Dass er ein herausragender Sänger ist. Mit seiner Stimme kann er röhren, wispern, fauchen („Trimm Trab“), er deklimiert die Silben dandyesk wie David Bowie („Ambulance“) und croont mit lässig um das Handgelenk gewickeltem Mikrofonkabel wie Frank Sinatra („Battery In Your Leg“). „This is a ballad for the good times“, singt er da mit samtigem Timbre, bis sich eine E-Gitarre in die Klavierakkorde fräst. Wenn das Pathos nicht länger zu ertragen ist, kommt der Krach. Am Ende, nach zwei Stunden und drei Zugaben, radebrecht Albarn: „My life is good heute abend“.

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