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Kultur: Liebe ist ein Zeitvertreib

In jenen ruhmreichen Tagen, da sich noch richtige Männer richtiger Frauen wegen so richtig metzelten, war das Leben wohl ungemütlicher, aber "dramatischer" als etwa 1896, da Tschechow sein frühes Drama "Platonov" schrieb, das die holländische Theatergruppe in einer englischen Fassung mit dem Titel "Point Blank" in den Berliner Sophiensälen zeigt. Die Männer hamletisieren da variantenreich vor sich hin, die Frauen entbrennen aus Langeweile immerhin in Leidenschaft - allerdings alle zum selben Mann: dem müde-zynischen Dorfschulmeister Platonov.

In jenen ruhmreichen Tagen, da sich noch richtige Männer richtiger Frauen wegen so richtig metzelten, war das Leben wohl ungemütlicher, aber "dramatischer" als etwa 1896, da Tschechow sein frühes Drama "Platonov" schrieb, das die holländische Theatergruppe in einer englischen Fassung mit dem Titel "Point Blank" in den Berliner Sophiensälen zeigt. Die Männer hamletisieren da variantenreich vor sich hin, die Frauen entbrennen aus Langeweile immerhin in Leidenschaft - allerdings alle zum selben Mann: dem müde-zynischen Dorfschulmeister Platonov. Alle lieben sie ihn: erstens seine etwas einfältige Frau, zweitens eine etwas einfältige Chemiestudentin, drittens seine frühere Flamme Sofia, die mit seinem einfältigen Freund Sergei verheiratet ist, und viertens dessen Stiefmutter Anna Petrovna. Feurige Liebesschwüre gibt es nicht - energisch fordert Anna den Liebesvollzug bei Platonov ein.

Dieser schaut seinen eigenen Irrungen zu wie einem Fernsehprogramm, dessen Abgeschmacktheit man immerhin geistreich kommentieren kann. Nur das Weiterzappen wird schwierig, etwa wenn Sofia nicht einsehen will, daß alles nur ein höchst "beiläufiger" Zeitvertreib war. Dabei ist Beiläufigkeit doch das Grundprinzip der Inszenierung: Man rechnet die jungen Leute, die da locker um ein Büffet im Eingangsbereich herumstehen, sich begrüßen, rauchen, plaudern, anfangs den Zuschauern zu. Auch als sie dann ihren Text sprechen, schälen sich eher nebenbei Charaktere und Konstellationen heraus: Erst im zweiten Akt - die am Rande wartenden Möbel sind inzwischen sorgfältig zu einem Labyrinth zusammengestapelt, das Licht im Zuschauerbereich ist erloschen - wird es sozusagen komödiantisch. Platonov muß ein Dutzend Störenfriede abwimmeln, um sich zum Schäferstündchen mit Anna Petrovna zu treffen - und landet dann doch bei Sofia.

Sozusagen tragisch wird es erst im letzten Teil der Inszenierung: Die Szene ist nunmehr kahl, ein weitläufiger "point blank", die Schauspieler sitzen am Rand und treten nur in die Mitte, wenn sie daran mitwirken, die Versuche Platonovs, mit den Folgen seiner Affären fertigzuwerden, immer mehr zu verkomplizieren. Mord, Selbstmord, Duell, Flucht in die große Stadt oder große Versöhnung: Alle Lösungsmöglichkeiten werden erwogen, doch alle sind irgendwie zu groß für diese alltäglichen und untragischen Menschen. So wird die Sache allmählich peinlich, quälend - und schon wieder saukomisch. Daß dann doch noch eine der Frauen - Sofia - den überforderten Platonov erschießt, ist die letzte ironische Pointe eines Theaterabends von schöner beiläufiger Präzision.

Noch heute und morgen, in den Berliner Sophiensälen, jeweils 20 Uhr

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