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Kultur: Liebe wird oft unterbewertet

Das Neujahrskonzert in der Volksbühne mit der Band Britta

Manchmal passieren schöne Dinge in Berlin. So schön, dass man wieder weiß, warum man trotz Böllern im Briefkasten in dieser Stadt lebt. Das Neujahrskonzert in der Volksbühne war so ein Ereignis. Es wird im Laufe dieses Jahres nur schwer zu übertreffen sein. Das lag vor allem an Christiane Rösinger, die durch den Abend führte und bei der Band Britta sang. Als sie bekannt gab, dass auf den Straßen Blitzeis herrsche, man solle doch da bleiben oder sich unklammern, da konnte man sich eines Gedankens nicht erwehren: Rösinger selbst hat den Einbruch der Warmfront herbeigeführt. Die ehemalige Lassie-Singers-Chefin ist zwar eine bekennende Verächterin des Konstrukts von der zweisamen Liebe, aber vielleicht gerade deshalb fähig, Liebe in großem Stil zu stiften.

Ganz eng saßen die jungen Menschen auf ihren Stühlen und den Treppen aneinandergedrückt und staunten, als sie erklärte, sie habe ein „Faible für Idioten“, also für schwierige Männer mit Sozialisationsproblemen. Doch nicht jeder der sich scheiße benehme, solle jetzt denken, er sei gleich ein Idiot. Nee, Idiot sei eher im Dostojewskischen Sinne gemeint. Vorher schon war der Maler Jim Avignon aufgetreten, der sich als Musiker Neoangin nennt. Avignon hat lustige Melodien geschrieben, dazu singt er mit hartem englischen Akzent und wippt. Seine Halbglatze blitzt im blauen Scheinwerferlicht dazu. Ob Avignon ein Idiot ist, war nicht zu erkennen. Aber Rösinger mag ihn trotzdem, schon weil er ihre Songs spontan hinter der Bühne uminterpretiert und sie dann gemeinsam auf der Bühne wippen. Wer das Duo Komeit schon einmal erlebt hat, weiß, dass der zarte Mann und die große Frau manchmal Probleme haben, sich Gehör zu verschaffen. Ihre Musik ist ganz leise und zerbrechlich, worauf die Menschen in Berliner Clubs manchmal keine Lust haben. Diesmal aber lag über allem der Zauber des Jahresanfangs. Als Komeit auf einem Glockenspiel klimperten, war es so andächtig wie in der Christmette.

Die ersten Tränen des Glücks rollten, als Michael von Kutzkelina & The Devil`s Harmonica seiner Sängerin Doreen zurief, „C’mon Baby, Yodl!“ Und die wunderbare Doreen - von Rösinger entdeckt und bald ein Country-Sternchen - fing an zu jodeln und warf die Arme in die Höhe vor Freude. Wer hätte gedacht, dass die schönste Version des „Tennessee-Waltz“ aus dem Harz kommt? Kutzkelina ist auf jeden Fall kein Idiot. Zweifelsohne ein Idiot ist aber Dirk von Lowtzow. Deswegen wirft ihm die Rösinger auch manchmal verstohlene Blicke zu, die der Tocotronic-Anführer schüchtern erwidert. Von Lowtzow ist ein toller Sänger geworden und ein guter Gitarrist obendrein.

Die Version des Leonard-Cohen-Songs „One of us can not be wrong“, die er mit Britta spielte, gehört jetzt schon zu den großen Momenten des Jahres 2003. Ein weiteres Highlight könnte das neue Album von Britta werden, das in den nächsten Wochen in einem Studio in der Bretagne entsteht. Mit auf die Platte sollte unbedingt die fulminante Version von „Wir müssen hier raus“ von Ton, Steine, Scherben. „Wir sind geboren, um frei zu sein“, heißt es darin. Ja, befreit fühlte man sich beim Rausgehen, von allen Ängsten und Sorgen, die man im Berliner Winter so anhäuft. Und das alles ohne Schnaps! Danke, Christiane Rösinger, Danke Volksbühne.

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