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Kultur: Lieber Idiot sein als ein Intellektueller Eine Diskussion im Einstein-Forum

Der Intellektuelle als moralische Instanz ist heute in Europa so tot wie der Hund auf der Autobahn. Lange vor Susan Sontags Tod im Dezember hat man ihn öffentlich beigesetzt.

Der Intellektuelle als moralische Instanz ist heute in Europa so tot wie der Hund auf der Autobahn. Lange vor Susan Sontags Tod im Dezember hat man ihn öffentlich beigesetzt. Aber aus Amerika kommt auch eine neue intellektuelle Susan. Die Philosophin Susan Neiman möchte als Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums müde deutsche Geister für die Reize des intellektuellen Themas erwärmen. „Wer hat das Sagen?“, fragte nun ein von ihr moderiertes Podium. Komplizierter ist eine andere Frage: Hat zum öffentlichen „Sagen“ überhaupt einer noch etwas zu sagen?

Gerade aus Amerika zurück, stellte der Literat Peter Schneider fest, dass Schriftstellergrößen dort kaum mehr ein publizistisches Forum haben. Paul Auster habe er vergebens im „New Yorker“ gesucht. Schneider berief sich auf eine stolze antitotalitäre Ehrendimension. Wie Camus, Koestler oder Orwell versteht das tapfere bundesrepublikanische Schneiderlein auch sein Amt als furchtloses Eintreten für die Wahrheit. Auch wenn er sich mit seinen Beiträgen zuletzt im Gesinnungsmilieu nicht nur Freunde gemacht habe. „Dann wird man sofort als Sozialfaschist an die Wand gestellt.“ Aber bedarf wirklich so viel Heldenmut, wer zweimal im Jahr die politische Linie des Duzfreundes „Gerd“ im „Spiegel“ akklamiert? Anstatt sich als ewigen linken Tabubrecher im Dienste der Wahrheit auszustellen, hätten wir von Schneider lieber erfahren, wie sich seine Karriere – vom revolutionären 68er zu Schröders Schoßhund – mit dem eigenen intellektuellen Ethos verträgt.

Peter Schneider mimte den Generalisten, der zu allem eine Meinung hat. Dagegen konnte Jan Philipp Reemtsma mit der „Kritik“, dem ästhetischen Markenzeichen des Intellektuellen, wenig anfangen, wie er insgesamt über Intellektuelle spöttelte, die sich schon wieder für neue Debatten rüsten: „Da kommt einiges auf uns zu, da können wir uns wieder wie im 18. Jahrhundert profilieren.“ Reemtsma wetterte gegen die „Ausstrahlungsunterstellung“ des Intellektuellen. Aber was hat Reemtsma denn mit seiner umstrittenen Wehrmachtsausstellung gesucht – wenn nicht geschichtspolitische und intellektuelle „Ausstrahlung“ über die engen historischen Fachgrenzen hinaus? „Ich bin nicht neugierig“, rief er Schneider zu, „was Paul Auster zum Krieg sagt“.

Natürlich wurde in der alten Bundesrepublik unendlich viel Blech getrommelt. Aber das liefert einem nicht das moralische Alibi, sich so kokett antiintellektuell zu zieren. Um die Rolle des Intellektuellen ist es schlecht bestellt, wenn alleine der notorische Peter Schneider sie behauptet. Von Durs Grünbein konnte er keine Unterstützung erwarten. Grünbein gab kunstreligiöse Sentenzen zum Besten, wollte lieber ein Idiot als ein Intellektueller sein. Gibt es für deutsche Geistmenschen vielleicht noch andere Sorgen, als in den Verdacht des Intellektuellen zu kommen? Nirgendwo ist das Land so provinziell, so wenig souverän wie beim öffentlichen Selbsterfahrungsgespräch seiner Intellektuellen.

Stephan Schlak

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