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Kultur: Lieber Neo, male mir

Die Berliner Galerie Eigen + Art zeigt neue Bilder des Leipziger Malers Neo Rauch

Neo Rauch muss sich heute, auf der Eröffnung seiner Ausstellung in der Galerie Eigen + Art, niemandem mehr vorstellen. Der 1960 geborene Leipziger ist einer der erfolgreichsten Maler seiner Generation – einer, um dessen Bilder sich die Sammler in aller Welt reißen, obwohl die Preisspanne für Leinwandarbeiten inzwischen zwischen 16 000 und 98 000 Euro liegt. Allein im letzten Jahr hat er unter anderem im Münchner Haus der Kunst, der Deutschen Guggenheim Berlin, der Kunsthalle Zürich, der Weserburg Bremen, dem International Culture Centre Krakow und der Biennale in Venedig ausgestellt. Keine große Malerei-Ausstellung von „Painting on the move“ in Basel bis „Lieber Maler, male mir“ in Wien und Frankfurt kommt ohne seine Werke aus. Von der Leipziger Volkszeitung bis zur New York Times sind unzählige Texte erschienen, in denen versucht wurde, sich diesen rätselhaften Bildern anzunähern.

Der riesige Erfolg passt zunächst gar nicht zu den verschlüsselten Bildern, die nichts mit unserer glitzernden Medienwirklichkeit zu tun haben, die sich in vielen anderen zeitgenössischen Gemälden widerspiegelt. Angenehm unzeitgemäß ist der Malstil, der Rauchs künstlerischen Werdegang bei Lehrern wie Arno Rink und Bernhard Heisig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst durchscheinen lässt. Dabei gibt es viele Anspielungen auf die eigene Biografie, auf die Wirklichkeit in den sechziger Jahren der DDR. In Form- und Farbwahl von Produkten etwa oder konkreten Motiven wie Asphalt, aus dem er als Junge einst Figuren formte. Rauch schöpft aus einem riesigen Inventar innerer Bilder. Sächsische Landschaften mit ins Unendliche reichende Alleen, Straßen, die im Nichts enden. Die Architekturelemente erinnern an Werkstätten, Fabriken und Militäranlagen. Züge, Flugzeuge, Raketen und Kabelstränge tauchen immer wieder auf. Dazwischen die „Pappkameraden“, wie Rauch seine Figuren nennt. Unverkennbar ist er selbst auf seinen Bildern präsent. Der große Mann mit dem nach hinten gekämmten Haar, den markanten Gesichtszügen und dem ernsten Ausdruck taucht in verschiedenen Rollen immer wieder auf. Mehr noch: Er sei auf jedem Quadratzentimeter seiner Bilder präsent, sagt er, jedes Bild sei ein Selbstbildnis. Die ordentlich gescheitelten Protagonisten tragen Uniformen oder anonyme Arbeitskleidung und sind Teil eines Systems, das offenbar keine Auswege lässt, als halte Rauch einen letzten Moment vor dem sicheren Untergang fest.

Dieser beunruhigende Eindruck dominiert auch die jüngsten Arbeiten. Rauch arbeitet in seinem Atelier in einer ehemaligen Leipziger Baumwollspinnerei gleichzeitig an mehreren Werken. Eine solche „Entstehungsfamilie“ vereint die Ausstellung. Die Farben sind greller als bisher, stellenweise fast giftig. Subtil schiebt sich über die Farben und die düsteren Himmel drohendes Unheil in die Bilder. Allein die präzise und ausgewogene Komposition setzt sich der Entgleisung entgegen. Es gibt weniger der lichten Weißräume, die bisher den Ausdruck der Zeitlosigkeit auf Rauchs Bildern gestärkt haben. Die neuen Arbeiten sind dichter und erlauben weniger Ausflüchte. Die Formate variieren vom extremen Hochformat „Reich“ bis hin zu dem vier Meter langen Querformat „Reaktionäre Situation“: eine schwebende Windmühle, Felder und winterlich dunkle Bäume, ein Wohnhaus. Drei Menschen sind auf dem Bild zu erkennen: ein mit gefalteten Händen knieender Mann, jemand der mit einem Stab etwas einsammelt, ein Sterntalermädchen im schwarzen Kleid. Das Bild zeigt mehrere Perspektiven gleichzeitig, was den surrealen Eindruck verstärkt. Im Vordergrund ist ein Gerät zu sehen, das bestenfalls als „Farbkanone“ beschrieben werden kann. Obwohl die Bilder mit ihren oft in Sprechblasen eingefügten Titeln wie ein Rebus dem Betrachter eine Richtung angeben, verfolgen sie kein eindeutiges Ziel. Wie der blinde Fleck in unserem Auge schaffen sie kaum fassbare Wahrnehmungsirritationen. Sie verbinden die sichtbare und unsichtbare Welt miteinander: Traum, Erinnerung und Wirklichkeit. Darin liegt ihre Faszination.

Galerie Eigen + Art, Auguststraße 26, bis 1. Februar; Dienstag bis Sonnabend 11-18 Uhr (heute zum Galerierundgang bis 21 Uhr).

Katrin Wittneven

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