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Kultur: Lieber Saulus als Paulus

Immer öfter ertappt sich die Kritikerin dabei, im Kinosessel Produzentin zu spielen.Die terroristische Sorte natürlich: Weg damit!

Immer öfter ertappt sich die Kritikerin dabei, im Kinosessel Produzentin zu spielen.Die terroristische Sorte natürlich: Weg damit! Streichen! Schnitt!! Mittlerweile überschreitet ja jeder Hollywoodfilm, der auf sich hält, locker die 120-Minuten-Grenze, ohne irgendeine Rechtfertigung dafür vorzuweisen - von "Boogie Nights" bis "Armaggeddon".Und nun "Apostel!", 133 Minuten lang, und nur 45 Minuten sind spannend inszeniertes Schauspieler-Kino.Der Rest: Bilderbuchidylle.Dabei schadet es, daß der Schauspieler Robert Duvall, der sich diesen Film auf den Leib geschrieben und inszeniert hat, die ganze Zeit mit aller Macht präsent ist.

Fünf Millionen Dollar hat Duvall selbst in dieses Projekt investiert.A "Robert Duvall Film" heißt es stolz im Vorspann.Dem Mann ist es ernst, was ja nichts Schlechtes ist.Und er bringt sich mit Leidenschaft ein in die Rolle des texanischen Erweckungspredigers Euliss Sonny Dewey, der trotz - oder wegen - seines moralischen Rigorismus ins Stolpern gerät.Sonny ist ein frommer, ja ein fanatischer Christ, der die Heiligen vor- und rückwärts aufsagen kann.Doch wenn er in weißem Anzug, Sonnenbrille und rosa Krawatte seine Gemeinde anheizt, könnte man ihn auch für einen Popstar halten.

Als das Schicksal ihn im Stich läßt, wird der Glaube zu Groll, und Sonny wendet sich erst in einer von Donner begleiteten Hiobsrede gegen seinen Herrn, bevor er den weltlichen Widersacher mit einem Baseballschläger niederstreckt.Sonny fällt tief.Und es ist paradoxerweise dieser Sündenfall der Hauptfigur, der die Spannungskurve dieses Films, der als Mentalitätsstudie so verheißungsvoll begann, vorzeitig beendet.Sonny flieht, noch tiefer in den Süden.Dort beginnt er, umgeben von urigen Typen und einer treuen Herde schwarzer Schäfchen, ein neues, ein Büßerleben aufzubauen.Wir sehen den Aufbau eines Kirchleins, das sich mit einem in den Himmel ragenden Riesenpfeil "One Way to Heaven" nennt.Wir wohnen der wundersamen Bekehrung eines Gottlosen bei.Ja, und es gibt eine Liebesgeschichte, der wir nur verzeihen, weil uns die kichernde Miranda Richardson so gut gefällt.War Saulus nicht interessanter als Paulus? Gesungen wird viel, gebetet wird auch reichlich.Über Gruppendynamik in Sekten läßt sich hier einiges lernen.Doch hat dies der Schöpfer so gemeint?

FT Friedrichshain, Kant, Filmbühne Wien, Potsdamer Platz; Babylon A (OmU)

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