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Kultur: Liebestod in Vaseline

Wir sind alle Wale: Matthew Barney und Björk vereinigen sich im Film „Drawing Restraint 9“

Hohepriester oder nur Eleve? Matthew Barney, amerikanischer PerformanceKünstler, ehemaliger Extremsportler, ein schmaler, gut aussehender Mann, trägt ein Tierfell auf dem Körper, auf dem Kopf Teufelshörner, auf dem Rücken ein Schneckenhaus. Und schreitet – oder schwankt – auf hohen Holzpantinen durch das enge Zwischendeck, auf dem Weg zu einer seltsamen Zeremonie.

Die Frau an seiner Seite, die isländische Sängerin Björk, ist ganz Prinzessin. Das Haar kunstvoll aufgetürmt, den Körper in japanische Tracht geschnürt, sitzt sie träumend auf einem Stein inmitten des Meeres: die kleine Meerjungfrau. Majestätisch thront sie später am Bug des Bootes, würdevoll lässt sie eine Umkleide- und Waschzeremonie über sich ergehen, schwimmt nackt im Bassin, umgeben von Orangen. Heilige Unschuld.

Schön wäre es, könnte man die Begegnung der beiden Ausnahmekünstler – die im übrigen ein Paar mit dreijähriger Tochter sind – als ultimativen Liebesbeweis deuten, als Hochzeitsritual in Form einer künstlerischen, wenn auch blutigen Vereinigung. Immerhin werden Barney und Björk im weiteren Verlauf, nach Absolvierung einer japanischen Teezeremonie, im Inneren eines Teekessels landen, der sich langsam mit flüssiger Vaseline füllt – und sich dort einem makaber-drastischen Ritual hingeben, bei dem sie sich gegenseitig Füße und Beine abschneiden, mit Messern die Haut zu Flossen aufschlitzen, bis sie, dann beinlos, als Wale vereint, ins Meer hinausschwimmen.

Doch narrativ oder biografisch kommt man dem neuen Werk Matthew Barneys nicht bei. Erst recht nicht, wenn man in dem zweieinhalbstündigen Film „Drawing Restraint 9“, der auf dem legendären japanischen Walfangschiff „Nisshin Maru“ spielt, als Kommentar für oder gegen Walfang zu deuten versucht, als esoterische Öko-Hymne oder drastische Sex-Orgie. Zu geschickt hat der Bildkünstler, der mit seinem hochkomplexen „Cremaster“-Zyklus bekannt wurde, die Handlung verrätselt. Das Walfangritual, die japanische Naturreligion des Shinto, eine Meditation über den Schöpfungsprozess, dazu der Bau einer Skulptur aus Vaseline und, nicht zu vergessen, Björks exotische, von japanischen Klängen inspirierte Filmmusik – alles spielt zusammen in einer ausgefeilten Privat-Mythologie, die vom Erstarken der Muskeln ebenso erzählt wie vom Willen, der den Trieb beherrscht. Verstehen lässt sich das alles nicht, nacherzählen kaum. Und ist im Kino doch ein besonderes Erlebnis.

Das beginnt mit der Eingangssequenz, eine atemberaubend lange Parallelmontage in den Schiffswerften von Nagasaki. Ein bunter Kostümzug zieht hinaus auf die Mole, um das Ablegen des Walfangschiffs zu begleiten. Parallel dazu bauen Hafenarbeiter an Bord des Schiffes eine kreuzartige Form, die mit flüssiger Vaseline gefüllt wird. Holzbretter werden geschlagen, Stahl geboten, Schläuche montiert, Verschlüsse geschlossen, ein perfekt durchchoreografiertes, instrumental begleitetes Maschinen-Theater. Später, auf dem Weg des Schiffes in die Arktis, wird sich die Vaseline – Barneys Lieblingsarbeitsstoff, das synthetische Gegenstück zum Walfett – langsam verfestigen und, zum spektakulären Höhepunkt der Reise, als kurzlebige Skulptur enthüllt werden. Schöpfung zum Miterleben.

Das ist die Maschinen-, die Männerwelt. Die Frauen schwimmen derweil wie Nixen im Meer, tauchen nach Perlen und holen, wenn sie wieder an die Oberfläche kommen, laut keuchend Atem. Und aus diesen Atemgeräuschen generiert Björk die ersten Takte ihrer Musik, ein tiefes Atmen und Keuchen und Pochen. Ein Herzschlag, der den Film grundiert. Er geht direkt ins Blut.

In Berlin ab Donnerstag im Filmkunst 66 und Filmtheater am Friedrichshain

Christina Tilmann

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