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LIEBLINGS stück (8): Der Urknall

Wie viele Künstler haben versucht, den Kosmos zu bannen – das Blau des Himmels, die Tiefe des Alls, die ewige Leere, das Unbegreifliche, das man auch Gott nennen kann. Die Bilder des Amerikaners Barnett Newman sind „gemalte Bilderverbote“, schrieb einmal die Kunstkritikerin Petra Kipphoff.

Wie viele Künstler haben versucht, den Kosmos zu bannen – das Blau des Himmels, die Tiefe des Alls, die ewige Leere, das Unbegreifliche, das man auch Gott nennen kann. Die Bilder des Amerikaners Barnett Newman sind „gemalte Bilderverbote“, schrieb einmal die Kunstkritikerin Petra Kipphoff. Ein Satz, über den man lange nachdenken kann. Er beschreibt das explosive Spannungsfeld, das Newmans monochrome Leinwände erzeugen. Die Kunstgeschichte zählt ihn zu den Abstrakten Expressionisten, er selbst verzehrte sich nach Darstellungsmöglichkeiten des Sublimen. Aber das sind nur Worte.

Es war wie ein Urknall, als ich Anfang der achtziger Jahre zum ersten Mal vor Barnett Newmans „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue IV“ stand, in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Ein Bild? Nein, eine Wand. Ein geheimnsivoller Organismus. Eine vibrierende Fläche, sechs Meter breit, 2,70 Meter hoch. Links das rote Feld, rechts das gelbe, dazwischen der schmale blaue Streifen, der zip, wie Newman es nannte. Manchmal scheinen Gelb und Rot die Seiten zu wechseln, das Blau in der Mitte übt einen gewaltigen Sog aus, es greift um sich.

Ein Abgrund tut sich auf, wenn man da nur lang genug hinschaut. Eine Offenbarung. Aber wovon? Von einer Kraft, die die Welt zusammenhält, aber auch zersprengen könnte. Newman hat vier Versionen von „Red, Yellow and Blue“ gemalt, die Berliner ist die mächtigste. 1982 wurde sie mithilfe der Freunde der Nationalgalerie erworben. In der West-Berliner Öffentlichkeit gab es darüber eine heftige Auseinandersetzung.

Das Unfassbare geschah, kaum dass Newmans kurz vor seinem Tod vollendetes Werk in der Neuen Nationalgalerie angekommen war. Ein Geistesgestörter schlug mit einem Eisenrohr auf die Leinwand ein. Das Bild habe bei ihm Angstzustände ausgelöst. Drei Jahre dauerte die Restaurierung. Angst vor Rot, Gelb und Blau soll es auch gewesen sein, die einen Wahnsinnigen in Amsterdam dazu trieb, mit Teppichmessern auf „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue III“ loszugehen. Der Mann verletzte das Kunstwerk schwer – um zehn Jahre später erneut zuzustechen.

„Cathedra“, ebenfalls ein Newman-Gemälde, habe ihn „maßlos irritiert“. Ein moderner Fall von Bilderstürmerei. Eine zutiefst irritierende Geschichte. Eine Passion. „Wer hat Angst ...“: Die Prophezeiung des Malers, die im Titel der Bilder formuliert ist, hat sich erfüllt.

Oft habe ich den Newman im Mies- van-der-Rohe-Bau besucht. Er strahlt eine ungeheure Ruhe aus. Er kann einen auch abweisen oder elektrisieren, in existenzielle Unruhe versetzen. Wie der Ozean auf jenem fernen Planeten, der in Stanislaw Lems Roman „Solaris“ die Seele der Kosmonauten widerspiegelt. Oft aber löst sich Newmans Triptychon, Altarbild einer imaginären Kathedrale, schier in Luft auf. Verschwindet wegen der zahlreichen Sonderausstellungen der Neuen Nationalgalerie an einen geheimen Ort. Derzeit hängen dort, wo sonst „Red, Yellow and Blue“ ihr höheres Wesen treiben, Gemälde von Max Ernst aus der Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch. Zu ihren surrealistischen „Bilder-Träumen“ gehören auch zwei kleine Blätter von Barnett Newman aus dem Jahr 1945: zarte, halbwegs figürliche Farb- und Formenspiele. Nichts deutet hin auf den Wirbelsturm der Abstraktion, in dessen Auge „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ einmal stehen würde.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50. Das Gemälde ist zurzeit im Depot.

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