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LIEBLINGS stück: Achtung, bissig!

Berlin hat 170 Museen. In den Ferien ist Zeit für Entdeckungstouren. Heute: Gregor Dotzauer über die Rudra Vina im Ethnologischen Museum.

Berühren oder nicht berühren – das ist hier die Frage. Denn Instrumente, die keinen Ton von sich geben, sind nichts als totes Metall, totes Fell, totes Holz. Im besten Fall: reizvoll umbaute Luft von zweifelhafter Erschütterungsbereitschaft. Der Wunsch, sie in ihrem selbstgenügsamen Schweigen aufzustören, ist also da. Doch was die Wärter des Völkerkundemuseums bei der freistehenden Hälfte der musikethnologischen Sammlung nicht vereiteln, das verhindern bei der anderen Hälfte hohe Glasvitrinen.

Man streift mit dem Knöchel vielleicht einmal heimlich an einer Reihe javanischer Buckelgongs entlang, um aus erster Hand einen Eindruck von den betörenden Schwebungen der Gamelan-Musik zu bekommen, man tippt mit dem Zeigefinger einmal vorsichtig eine Trommel an – das Höchste der Gefühle aber bleiben sonst die spärlichen Klangbeispiele, die sich als Konserve per Knopfdruck abrufen lassen. Wenn man den Kopf genügend verrenkt, kann man den nordindischen Raga, der dabei womöglich ertönt, sogar mit der nebenan weggeschlossenen Sitar in Verbindung bringen. Unsinnlicher geht’s nicht. Aber was heißt das in Zeiten, in denen sich die fehlende Sinnlichkeit schon für wenig mehr als 300 Euro in Professional Quality Full Size mit Vollkörperkontakt erkaufen ließe. Direktversand aus Indien in maximal fünf Werktagen, Zoll kein Problem.

Diese Instrumente haben etwas von wilden Tieren

Nur: Will man diesem bauchigen Ding mit seinen vielen Wirbeln und Saiten wirklich nahekommen? Und wenn ja, würde man es sachgerecht behandeln? Schließlich deutet nichts darauf hin, dass die sehr viel vertrauenswürdiger, weil schlichter aussehende Sarod, deren großer Meister Ali Akbar Khan gerade gestorben ist, nicht wie eine Gitarre mit den Fingerkuppen zu greifen ist, sondern mit den Fingernägeln. Und erst das Prunkstück der Sammlung, die viel imposantere, rätselhaftere Rudra Vina. Was stellt man an mit anderthalb bundierten Metern Bambusröhrenzither, einer ergonomischen Zumutung aus zwei riesigen Kürbiskalebassen als Resonanzkörpern, von denen einer offenbar auf der linken Schulter zu lagern ist und der andere auf dem Oberschenkel?

Exotische Instrumente haben etwas von wilden Tieren: Die Neugier, mit ihnen taktile Bekanntschaft zu schließen, konkurriert mit der Angst, sie könnten sich zur Wehr setzen. Eine Nacht allein mit der musikethnologischen Sammlung – der schiere Horror. Die Schränke würden sich öffnen. Die westafrikanische Kora mit ihren 21 Saiten würde mit ihrer entfernten Verwandten, der nordindischen Rudra Vina tanzen gehen oder, finster und bedrohlich, wie sie aussieht, gleich über sie herfallen. Selbst ein so bescheidenes Wesen wie die einsaitige Devgunya-Laute mit ihrer Melonenkalebasse, die im indischen Bundesstaat Orissa unter Wandermusikern zu Hause ist und die Glücksgöttin Lakshmi symbolisiert, könnte sich auf ihre reiche Erfahrung mit exorzistischen Riten besinnen und lautstark durch die Gänge ziehen.

In Wahrheit wäre natürlich nichts herrlicher, als jedes einzelne von ihnen aufs schwingende Herz und sämtliche mitresonierenden Nieren zu prüfen – gerade da, wo wie bei der auf den ersten Blick so primitiven Devgunya die Intuition versagt, wie man sie überhaupt zum Klingen bringt. Theoretischere Geister können sich immer noch in die Afrika-Abteilung begeben. Dort steht eine kleine Bogenharfe aus dem Kongo. Vom angewinkelten Hals, der in einen geschnitzten Menschenkopf übergeht, führen fünf Saiten zum tierhautbespannten Korpus, der wiederum auf einem Bein mit gebeugtem Knie und Fuß sitzt. Das Ganze ist mehr Kunsthandwerk als Instrument. Aber es verkörpert die Idee von Musik wie kein anderer Gegenstand des Museums. Es denkt der Kopf, es schwingt der Bauch – und keiner kommt ohne den anderen aus.

- Ethnologisches Museum, Lansstr. 8, Berlin-Dahlem, Di-So 11-18 Uhr

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