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Berlin im Regen. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Laune!

© dapd

Lieblingsplätze in Berlin: Weine nicht, wenn der Regen fällt

Sommer ist keine Jahreszeit, sondern ein Gefühl. Flut macht erfinderisch, meint unser Autor. Torsten Körners Berliner Lieblingsplätze bei miesem Wetter.

DIE PLATTENHÖHLE

Am liebsten besuche ich den Plattenladen Hurricane an der Hauptstraße gleich mehrfach am Tag. Niemand grüßt dich, wenn du eintrittst, niemand will wissen, ob und wann du wieder gehst. Hier kommt das Selbst voll auf seine Kosten. Du bist erlöst vom Dasein als Kunde. Hier bist du Luft. Am Tresen steht zwar ein Mensch, vermutlich ein Mann, aber er schaut nicht auf, starrt nur auf einen Bildschirm. Das Innere des Ladens ist geordnet und speckig. Die Jahrzehnte stecken in milchigen Plastikhüllen. Wer die psychedelischen Plattencover der Woodstock-Jahre betrachtet, muss lächeln. Man verlässt den Laden im Hochgefühl vollkommener Entbehrlichkeit. Derber Wind kämmt die flachen Pfützen. (Hauptstraße 84, Schöneberg)

DAS PUNK-MUSEUM

Die Ramones ernährten sich hauptsächlich von Whiskey und Heroin. Sie trugen Röhrenjeans und Lederjacken. Drei von vier Ramones sind tot, deshalb gibt es ein Museum in der Krausnickstraße. Am Tresen steht eine junge Frau mit tätowierten Unterarmen und kaum verheilten Piercinglöchern in der Nase; sie unterhält sich mit einem Paketboten, der wie Dylan aussieht und seine nächste CD plant. Im Café sitzen Touristen und trinken Beck’s Bier. Im Museum kann man mehrere zerrissene Jeans und T-Shirts bewundern, die zweifelsohne von den Ramones getragen wurden. Offenbar wurde die Band mehrfach von dreisten Textildieben heimgesucht. Die Ramones waren übrigens sehr dünne Punks. Zum Wegpusten. Stundenlang kann man hier ungestört zwischen dem Diebesgut sitzen. Es tröpfelt. (Krausnickstraße 23, Mitte)

DER FINNISCHE LADEN

Der finnische Iittala-Shop in der Münzstraße empfängt den Besucher mit 487 Tellern der Reihe Teema, die an die Wände genagelt wurden. Hier herrschen Funktionalität, klares Design, warme Farben, hier kauft man skandinavisches Geschirr. Wer hier arbeiten will, muss bis ins vierte Glied seines Stammbaumes nachweisen, dass er oder sie keine finnischen Vorfahren besitzt. Sagt der Mann an der Kasse. Denn Finnen gelten gemeinhin als redselig wie Steineichen. Erst nach dem Genuss von hochprozentigen Schnäpsen (Kossu) beginnen sie sich zu öffnen. Dann aber gewaltig. Das könne man keinem Menschen zumuten, sagt der Mann an der Kasse. Die Reste eines Regenschirmes fegen über den Bürgersteig. (Münzstraße 7, Mitte)

DER BOOKSHOP

Der englische Bookshop bei Dussmann ist ungemein einladend. Im Erdgeschoss stehen schwanenhafte Wagenfeld-Lampen und spenden milchiges Licht. Oben kann man sich in ledernen Sesseln niederlassen, lesen und ab und an durch die riesigen Bullaugenfenster auf die Mittelstraße blicken. Man bleibt vollkommen unbehelligt. Plärrende Kinder werden von zupackenden Buchhändlerinnen sofort chloroformiert. Hier ist es warm, das Holz der Regale und Tische verströmt Landhausatmosphäre, kunterbunte Buchrücken muntern auf. Ein nasser Hund streift durch die Dussmann-Arkaden und schüttelt den Regen aus dem Fell. (Friedrichstraße 90, Mitte)

DAS POESIECAFÉ

Das Café Galerie Poesie existiert erst seit ein paar Wochen. Wer hier ein Gedicht schreibt, bekommt den Kaffee oder den Kuchen, aber auch Kunstwerke zum halben Preis. Etwas undurchsichtig, wer den Laden im Kunsthof an der Oranienburgerstraße betreibt. Vermutlich ein paar meditative Inder. Der Laden ist sehr spirituell, denn sobald man sich an einem der Tische im Kellergewölbe niederlässt, fließen die Worte wie Wasser aus einem heraus. Ich schrieb fünf Gedichte en bloc und bekam den Kaffee und Kuchen umsonst. Wie spielen die bloß ihre Miete ein? Die Polizisten vor der Synagoge tragen forstgrüne Pelerinen. (Oranienburger Straße 27, Mitte)

DIE ABSTURZKNEIPE

Der Felsenkeller in der Akazienstraße ist eine Kneipe, die den Gast einsaugt wie der Wal den Krill. Dunkel ist es hier, ein Stimmenmeer brandet ans Ohr. Im Felsenkeller schreiben herpesgeplagte Jungs 700-Seiten-Romane, sensible Cineasten weinen ins Bier, trinkfeste Irland-Korrespondenten trinken Ale, fahruntüchtige „taz“-Redakteure kritzeln Kryptogramme auf Bierdeckel, angejahrte Revolutionäre essen Heringssalat, glatzköpfige Boulevardjournalisten verfluchen ihr Schicksal, hier verschieben Selbstmörder ihren Selbstmord, hier sind die verflossenen Zeiten ein Bärenfell, das man sich überstreift, wenn man sich wie eine Maus fühlt. Es pladdert. (Akazienstraße 2, Schöneberg)

DER U-BAHNHOF

Im U-Bahnhof Paulsternstraße auf der Linie U 7 beobachtete ich vor vielen Jahren ein kopulierendes Paar, aber das ist eine andere Geschichte. Tatsächlich wurde dieser Bahnhof von einem astreinen Hippie gestaltet. Bunte Wiesen, halluzinogene Wälder, sternförmige Blumen, ein Pophimmel. Wer hier aussteigt und das Ambiente genießt, ist ein echtes Sonnenkind. Der U-Bahnhof ist einer Luchlandschaft nachempfunden, deshalb kommen manchmal Biber und Dachse vorbei, aber auch vollautomatisierte, führerlose Kehrmaschinen trudeln summend über die matt glänzenden Bahnsteige. Zwei Japaner in kondomartig dünnen durchsichtigen Regenhüllen tropfen lautlos vor sich hin.

DER DOPPELDECKER

Im Oberdeck des M 48 trifft man zuverlässig auf den einen oder anderen aufgeschlossenen Psychopathen, mit dem man gewinnbringend ins Gespräch kommen kann. Die Scheiben schwitzen, die Menschen auch. Der Regen trommelt aufs Deck, regengebeugte Äste knallen gegen das subtropische Oberstübchen, jugendliche Sprachakrobaten diskriminieren das Wetter: „Regen, du Hurensohn! Du Opfer.“ (Der Bus M 48 verkehrt zwischen Zehlendorf und Alexanderplatz)

DIE WURSTBUDE

Ich esse kein Fleisch, aber ich sehe anderen gern dabei zu. Unter der roten Markise des Curry 36 am Mehringdamm fühle ich mich geborgen. Wir stehen um 00.24 Uhr Schulter an Schulter. Mit Darm und ohne. Mit Ketchup. Oder Majo. Mit Pommes. Heiße Fleischatemwölkchen steigen auf, Finger werden geleckt, Bäuche gerieben. Die Nacht ist nass, feucht, klamm. Uns ist warm. Die Currywurstbäuche sind kleine Heizkraftwerke. Ich bin umgeben von Heizkraftcurrywurstbäuchen, meine Nase ist kein Vegetarier. (Mehringdamm 36, Kreuzberg)

Torsten Körner, 1965 in Oldenburg geboren, lebt als freier Autor in Berlin. Jüngst sind im Scherz Verlag unter dem Titel „Probeliegen“ seine „Geschichten vom Tod“ erschienen.

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