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Lieblingsstück (1): Süßes in Serie

170 Museen hat Berlin. In den Ferien ist endlich Zeit für Entdeckungstouren. Heute: Christian Schröder über den Sarotti-Mohr im Tempelhof Museum

„Erfrischungsstäbchen“, „Täfelchen“ und „Mokka Bohnen“, am Rand der Gussformen kleben noch die alten Aufkleber. Jedes Wort ist eine Verheißung, man hat sofort den Geschmack von zartem Schokoladenschmelz und klebrig-herbem Zitronenaromat auf der Zunge. Doch essen darf man im Tempelhof Museum nichts. Dafür aber alles anfassen. Kühl fühlt sich das Metall der Pralinenformen an, die auf einem Tischchen liegen. Die Vertiefungen, in denen die Schokoladenmasse in Form gebracht wurde, sind bohnen-, nuss-, pflaumenförmig, manchmal auch flach und rechteckig. In den Winkeln wuchern Ornamente, daneben prangt spiegelverkehrt der Schriftzug „Sarotti“.

Das Schokolademachen malt man sich als höchst lukullischen Vorgang aus, ein Kneten, Rühren, Löffelklappern, Topfauslecken wie im Schlaraffenland. Die Wirklichkeit ist weniger wohlschmeckend. Bis zu 300 000 Tafeln Schokolade verließen in der Tempelhofer Sarotti-Fabrik täglich die Fließbänder. Es herrschten ruppige Sitten, wie ein Konfektmacher berichtet, dessen Erzählungen aus den Nachkriegsjahren man per Kopfhörer zuhören kann. Weil er einmal seinen Arbeitsplatz nicht aufgeräumt hatte, raunzte sein Chef: „Am liebsten würde ich Ihnen in die Fresse hauen.“ Der Arbeiter darauf: „Dann würden Sie aber als Erster in der Ecke liegen“, und weil er sich nicht entschuldigte, versetzte man ihn zu den Schokolinsen, deren Herstellung wegen harter körperlicher Arbeit berüchtigt war. Auf den Ex-Arbeitgeber lässt er trotzdem nichts kommen. Sogar die Aushilfskräfte – süße alte Zeit der Berlinzulage – bekamen Weihnachtsgeld.

Der Konditormeister Hugo Hoffmann hatte 1868 in der Mohrenstraße mit der Produktion von „feinen Pralinés nach Pariser Rezepten“ begonnen. Das „Deutsche Chocoladenhaus“ expandierte rasch und übernahm 1881 die „Confiseur-Waaren-Handlung Felix & Sarotti“ an der Friedrichstraße. Was der Firma endgültig zum Durchbruch verhalf, war ein Marketingcoup in Form eines schwarzen Männleins mit rotem Turban, blauer Jacke und roten Pluderhosen, entworfen vom Grafiker Julius E. F. Gipkens.

Der Sarotti-Mohr hat einen zu großen Kopf und zu kleine Beine, seine Körperformen – das ergaben Umfragen – werden vom Betrachter als Kindchenschema interpretiert. Besonders Frauen reagieren darauf positiv. Schon vor dem Ersten Weltkrieg steigt Sarotti zur Weltmarke auf. Der alte Standort in der Stadtmitte wird zu eng, 1912 baut Hoffmann in der Tempelhofer Teilestraße eine Fabrik für 2000 Mitarbeiter. Sie liegt am Teltowkanal – mit Schiffsanleger und extra Bahngleis. Sarotti steht für Luxus und Exotik. Der Mohr bringt Gaben aus dem Morgenland, auf einem Tablett vor seinem Bauch liegt eine Mokkabohne. Er könnte auch zu den Heiligen Drei Königen gehören. Über alle Kriege und Krisen hinweg bleibt er ein Sympathieträger. Doch die Werbemanager halten ihn in den achtziger Jahren für veraltet und wollen ihn abschaffen. Gerettet wird das Männchen von der Wiedervereinigung und dem Schokoladenhunger des Ostens.

Heute gehört Sarotti zur Kölner Stollwerck-GmbH, die Produktion in der Teilestraße wurde eingestellt. Doch der Sarotti-Mohr lebt, nur heißt er jetzt anders, korrekter: „Magier der Sinne“.

Tempelhof Museum, Alt-Mariendorf 43, Mo u. Mi 10-16, Di u. Do 10–18, Fr 10-14, So 11-15 Uhr. Eintritt frei. – Als Nächstes: Kai Müller im Märkischen Museum

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