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Lieblingsstück: Ethnologisches Museum: In Preußen gestrandet

Berlin hat 170 Museen. In den Ferien ist Zeit für Entdeckungstouren. Heute: Andreas Schäfer über Südseeboote im Ethnologischen Museum Dahlem.

Die Südseeboote im Dahlemer Ethnologischen Museum haben zur Zeit keinen guten Ruf. Im Gegenteil: seit einigen Jahren sind sie sogar Gegenstand ungerechtfertigter Häme. Was gar nicht an den Südseebooten als vielmehr am Kontext liegt, in dem von ihnen die Rede ist. Bekanntlich sollen, wenn es denn jemals so weit sein sollte, dass ein sogenanntes Stadtschloss die Mitte unserer lieben Stadt ziert, die außereuropäischen Sammlungen des Preußischen Kulturbesitzes ins Innere des Gebäudes ziehen. Unter anderem also auch die Südseeboote. Draußen Barock, innen Hula-Hula-Bötchen, so lautet zugespitzt der Einwand gegen die geplante Crossover (heißt es nicht so?) -Bespielung der sogenannten „Agora“ im „Humboldt-Forum“.

Abgesehen davon, dass der Einwand wahrscheinlich berechtigt ist, durchweht ihn eine kräftige Brise abendländischer Überheblichkeit, die über feine untergründige Strömungen möglicherweise noch etwas mit ihrem Gegenteil, der abendländischen Südseeidealisierung aus dem 19. Jahrhundert zu tun hat. Quasi die späte Rache dafür, dass Gauguin und seine Künstlerkollegen das „andere Leben“ in der Südsee verklärt und die Inselgruppen im Pazifik als Paradies schlechthin gesehen haben.

Wie dem auch sei – ob verklärt oder verlacht: Die Südseebote können nichts dafür. Sie sind einfach da! Eine Handvoll Boote zwischen drei und zwölf Meter Länge, am rechten Ende der Ausstellungshalle direkt hinter den schreckstarrenden Masken und den Holzfischen mit ihren bedrohlichen Zahnreihen. Im heruntergedimmten Licht stehen sie auf unebenem Teppichboden, bewacht von zwei geheimnisvoll schweigenden Museumsaufsehern – und sind vor allem wegen ihrer Einfachheit beeindruckend. Ein schmaler Rumpf, darauf ein verwachsener Mast, an dem entweder ein Krebsscheren- oder ein Dreieckssegel befestigt ist. Ein schmaler Ausleger zur Stabilisierung, über krumme Äste mit dem Rumpf verbunden. Eine Plattform für Mensch oder Waren, darauf eine raffiniert geschnitzte Kelle, um eindringendes Wasser aus dem Boot zu schöpfen. Fertig. Nirgends ein Nagel. Stattdessen werden die Bestandteile nur durch pflanzlichen Kitt und Fasern vom Kokosbaum zusammen gehalten, ebenso wie das Hüttchen, das auf einer Plattform steht, um – wie es auf einer Beschriftungstafel heißt – einen Mann vor Sonne und Unwettern zu schützen.

Schauder schleicht sich in das Staunen, als der Blick auf das Wörtchen „Hochseefahrt“ fällt und danach auf der Landkarte die unermessliche Weite zwischen Südostasien und Amerika durchmisst. Hunderte windumtoste Seemeilen auf diesen simplen Konstruktionen, um von einer winzigen Insel Güter auf die nächste zu transportieren – oder in die Schlacht gegen einen verfeindeten Stamm zu ziehen? Schauder und Demut.

Die Seefahrttechnik der Bewohner Mikronesiens wurde von den Europäern schon früh bewundert. Zum Beispiel von Otto Finsch, der 1880 ein Boot von den Marshall-Inseln mitbrachte, obwohl ihm Häuptling Kabua keines von seinen dreizehn Schiffen abgeben wollte, weil er sie alle für die Kriegführung brauchte. Schließlich verkaufte ihm Kabuas Gegner Loik eines. Loik hatte mehr Boote, aber weniger Geld.

Das Boot mit dem Krebsscherensegel heißt übrigens maunga nefu. Wie der Berg auf einer Insel, die als Heimat der Totenseelen gilt.

Ethnologisches Museum, Arnimalle 23-27, Di–Fr 10–18, Sa/So 11–18 Uhr.

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