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Kultur: Liebster bleiben

Präzis: Florian Hoffmeisters „Drei Grad kälter“

Ein Mann kehrt zurück. Vor fünf Jahren war Jan (Sebastian Blomberg) einfach verschwunden – wortlos abgehauen aus einer Beziehung, geflohen vor der Familie, der Heimat, den Verpflichtungen. Jetzt ist der verlorene Sohn, Bruder und Freund wieder da. Unangekündigt. Plötzlich. Unverhofft.

Und alles, was seither erreicht wurde, erweist sich als labil: Marie (Bibiana Beglau), die verlassene Freundin, beginnt an der Gegenwart zu zweifeln. In ihrem Mann (Johann von Bülow) kriecht die Eifersucht hoch. Die Mutter (Grischa Huber), tablettensüchtig und neurotisch, macht sich falsche Hoffnungen. Und auch in der Beziehung von Jans Freund Steini (Alexander Beyer) brechen verdrängte Dinge hervor.

„Drei Grad kälter“ ist ein Gespensterfilm, bevölkert mit lebenden Toten. Er ist zu Hause in leeren Restaurants, Clubs, Schwimmbädern. Auf verlassenen Flughäfen, Straßen, Bahndämmen. Die Welt ist grau und kühl. Die Gesichter der Menschen sind bleich und von Falten durchzogen. Unter den Augen: dunkle Ringe. Die Stimmen: gedämpft und isoliert, wie durch ein dickes Stück Stoff gesprochen. Abgelebte Figuren. „Du weißt, wie es ist, wenn man sich zu Gast im eigenen Leben fühlt“, sagt Jan zu Marie. Und Jenny (Meret Becker) beklagt sich einmal bei ihrem Freund Steini: „Ich will unser Leben nicht spielen.“ Aber das Leben einfach zu leben – wie soll das gelingen?

Florian Hoffmeisters intensives Generationenporträt, in Locarno mit dem Silbernen Leoparden ausgezeichnet, stürzt den Zuschauer in Melancholie. Vor allem für die Anfang bis Mitte Dreißigjährigen ist sein Film alles andere als Selbsthilfekino. Die Angst vorm engen Zuhause, die Flüchtigkeit von Bindungen, die Distanz zum Lebensentwurf der Eltern – für alles findet Hoffmeister hochsymbolische Schauplätze und Rquisiten. Der Bahndamm: Ort des Übergangs. Das Gewächshaus, in dem Leben nur künstlich gedeiht. Der Kompass: ein altmodisches Gerät – aber eine eindeutige Metapher für Leute, die irgendwie vom Kurs abgekommen sind.

Wer sich so genaue Gedanken macht, wer so präzise inszeniert, wer so überzeugend und ökonomisch mit dem Darstellerensemble arbeitet, braucht den Vergleich mit dem Kino von Christian Petzold nicht zu scheuen. Wenn nicht alles täuscht, hat sich der Berliner dffb-Absolvent Florian Hoffmeister bereits mit seinem Debüt erfolgreich um die Aufnahme in die „Berliner Schule“ beworben. Und das heißt auch: Der Film „Drei Grad kälter“ mag kühles Kino sein – kalt lässt er nicht.

Babylon Mitte, Moviemento

Julian Hanich

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