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Lindenoper

© Spangenberg

Lindenoper: Mutter aller Saalschlachten

Schon 2001 gab es einen Wettbewerb zur Staatsopern-Sanierung: Ein neues Interieur wurde prämiert – und vom Senat kassiert.

In der Medizin würde das wohl als Sensation gefeiert werden: Zwillinge mit sieben Jahren Altersunterschied, die dazu noch von zwei geistigen Vätern abstammen! In der Architektur scheint dieses Wunder dagegen nur logische Konsequenz aus dem Nachdenken über die Sanierung der Berliner Staatsoper: Sowohl der Architekt Klaus Roth als auch sein Kollege Gerhard Spangenberg kommen zu dem Ergebnis, dass sich aufgrund von Sicht- und Akustikproblemen der historisierende Saal nicht retten lässt. Beide plädieren für einen Neubau des Zuschauerbereichs mit ansteigendem Parkett, einen Verzicht auf die sichtbehindernd in den Saal ragenden Proszeniumslogen sowie geschwungen geneigten Ränge. Beide wollen Festlichkeit mit modernen Mitteln erreichen, mit rot getünchten Wänden und einer Leuchtskulptur an der Decke.

Klaus Roths Entwurf wurde vor zwei Wochen von einer Fachjury zum Sieger gekürt. Gerhard Spangenberg gewann mit seinem Projekt 2001 den Wettbewerb um die Generalsanierung der Berliner Staatsoper. Wie bitte? Ja, es gab bereits vor sieben Jahren eine europaweite Ausschreibung zum Thema, die ergab, dass man sich von Richard Paulicks 1951 dem Stil des friderizianischen Rokoko nachempfundener Innenausstattung verabschieden muss, wenn die Lindenoper als Gebäude definiert wird, in dem Künstler gut Kunst machen können und in dem die Besucher auch in den vollen Genuss derselben kommen.

Mit Gerhard Spangenberg gewann damals einer der renommiertesten Architekten der Hauptstadt, der jüngst erst mit dem Veranstaltungszentrum „ Radialsystem“ am Spreeufer bewiesen hat, wie großartig eine Symbiose aus Alt und Neu für Kreative und ihr Publikum funktionieren kann. Der revolutionäre Vorschlag Spangenbergs zur Staatsoper dagegen verschwand in der Schublade bei der Senatsbauverwaltung, der Architekt wurde ausbezahlt und dezent, aber deutlich darauf hingewiesen, mit seinen Ideen doch bitte nicht in der Öffentlichkeit hausieren zu gehen. Ein Grund für dieses systematische Totschweigen ist sicherlich darin zu suchen, dass Spangenberg einen Kostenrahmen von 199 Millionen Euro errechnet hatte – Geld, das 2001, in der heißesten Phase der Berliner Sparwelle, definitiv nicht zur Verfügung stand. Zum anderen war die Vorstellung, der klassizistischen Hülle einen modernen Kern zu geben, den Traditionalisten sicher schon damals ein Alptraum.

Kein Wunder, dass die acht Büros, die nun zur Finalrunde des zweiten Sanierungswettbewerbs eingeladen wurden, Spangenbergs Arbeit gar nicht erst zu Gesicht bekamen. Umso erschreckender muss es für die konservative Fraktion gewesen sein, dass Klaus Roth exakt zu denselben Forderungen gelangte wie Spangenberg – und damit auch noch gewinnen konnte! Hier steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.

Immerhin geht die Stadtentwicklungssenatorin diesmal in die Offensive: Am 4. Juni wird in der Bauakademie am Schinkelplatz eine Ausstellung eröffnet, die auch jene Wettbewerbsbeiträge zeigt, die Lüster und Fünfziger-Jahre-Stuck modifizierend erhalten wollen. Der heißherzigste Verfechter des Status quo, Kulturstaatssekretär André Schmitz, hat angekündigt, bei der Eröffnung ein Plädoyer für Paulick zu halten. Die Öffentlichkeit kann sich so zumindest ein Bild davon machen, ob der Respekt vor dem unter Denkmalschutz stehenden Nachkriegssaal tatsächlich zu einem ästhetisch unzumutbarem Hybrid-Rokoko-Raum führen muss, wie es die Befürworter des Saalneubaus behaupten.

Bleibt nur eine Frage: Warum wird jetzt, wo der Bund 200 Millionen Euro zuschießt, nicht Gerhard Spangenbergs Entwurf realisiert? Auf dem Rechtsweg hat der Architekt kaum Chancen, eine Verwirklichung seines Projekts zu erzwingen, muss tatenlos zusehen, was jetzt in Sachen Staatsoper passiert.

Dabei hat sein Entwurf über die Saalneudefinition hinaus noch zwei sehr interessante Aspekte zu bieten: Zum einen hat Spangenberg als Ersatz für die muffige Pausen-„Konditorei“ im Staatsopernkeller ein Dachrestaurant erfunden – eine höchst verlockende Idee und sogar mit dem Denkmalschutz vereinbar, weil unsichtbar hinter der Balustrade des Säulenportals versteckt. Zum anderen hat Spangenberg Pläne für eine zweite Bühne im Magazingebäude neben der Hedwigskathedrale vorgelegt, die sich schon während der Sanierung bewähren könnte. Als Ersatzspielstätte für Barockes, Zeitgenössisches und klein dimensioniertes Repertoire genutzt, würde der Spielbetrieb am Stammplatz partiell weitergehen, mit direktem Blick auf die Baustelle. Wenn konzertante Opernaufführungen in der Philharmonie dazukommen, Barenboim und seine gerade wieder aufgewertete Staatskapelle ihre Konzertzahl verdoppeln und zweimal pro Saison Großproduktionen en suite an spektakulären Orten wie der Arena Treptow oder der Waldbühne gezeigt werden, dann würde die Staatsoper ihre Außer-Haus-Zeit wirklich aktiv-attraktiv gestalten, anstatt blauäugig darauf zu hoffen, dass die Stammkunden und Touristen schon ins Schiller-Theater mitziehen werden.

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