zum Hauptinhalt
Staatsoper

© dpa

Lindenoper: Vom Saulus zum Paulick

Architekt Stephan Braunfels greift in die Berliner Staatsopern-Debatte ein. Aus Liebe zur Musik plädiert er für sanfte Eingriffe.

Unter allen deutschen Architekten ist Stephan Braunfels zweifellos der größte Opernfan. Der Enkel des von den Nazis verfemten Komponisten Walter Braunfels, dessen „Heilige Johanna“ im Frühjahr in einer Inszenierung von Christoph Schlingensief an der Deutschen Oper Berlin ihre triumphale Wiedergeburt erlebte, jettet in seiner Freizeit durch die Musiktheater der Welt. Er kann gar nicht genug Musik bekommen, verschlingt Inszenierungen, verehrt Dirigenten, reist Sängern hinterher. Seine hemmungslos zur Schau gestellte Bewunderung für Anna Netrebko brachte ihm gar den Spott der Münchner Society ein.

Ein Opernhaus jedoch hat der Schöpfer der Münchner Pinakothek der Moderne und der Bauten für die Bundestagabgeordneten vis–à-vis vom Kanzleramt, dem Paul-Löbe- sowie dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, noch nicht geplant. Kein Wunder, dass er mittun wollte, als im Mai endlich zum Wettbewerb für die Grundsanierung der Berliner Staatsoper aufgerufen wurde. Schon zum Vorgespräch erschien er mit Skizzen. Doch dann kam er nicht in die Finalrunde und musste mit ansehen, wie Klaus Roth den ersten Preis davontrug, für einen Entwurf, der einen modernen Zuschauersaal mit ansteigendem Parkett bis auf Höhe des Apollosaals vorsah. Haargenau dieselbe Idee hatte auch Stephan Braunfels gehabt, nur dass sein Entwurf selbstverständlich „brillanter“ und „konsensfähiger“ ausgesehen hätte, wie er am Mittwoch bei einem Pressegespräch in seinem Berliner Büro in der Rudi- Dutschke-Straße betonte.

Anlass für die Einladung war allerdings nicht die Kollegenschelte, sondern ein neuer Lösungsvorschlag zur Staatsopernproblematik, mit dem Braunfels nun an die Öffentlichkeit drängt. Denn er ist inzwischen vom Saulus zum Paulick geworden, will den 1955 im Neorokoko geschaffenen Innenraum so originalgetreu wie möglich wieder herstellen – und dennoch Sicht- und Hörbedingungen für die Zuschauer verbessern. Als „Ei des Kolumbus“ bezeichnet er sein Projekt, das die verfeindeten Gruppen der am Dekor hängenden Augen- und der zur Akustikverbesserung drängenden Ohrenmenschen versöhnen soll.

Stephan Braunfels hat die leidenschaftlich geführte Diskussion aufmerksam verfolgt, die Roths moderner Entwurf ausgelöst hatte und die letztlich dazu führte, dass sich der Berliner Senat im Juli entschloss, auf eine Auftragsvergabe zu verzichten, weil keines der acht teilnehmenden Architektenbüros die denkmalpflegerischen Anforderungen angemessen berücksichtigt habe. Die Preisgelder in Höhe von 95 000 Euro wurden ausgezahlt, insgesamt kostete das geplatzte Verfahren 175 000 Euro.

Noch am 21. Oktober erklärte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher auf eine Anfrage der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus: „Die konzeptionellen Überlegungen für die Durchführung der kommenden Vergabeverfahren sind nicht abgeschlossen.“ Wenige Tage später aber brachte die Bauverwaltung dann doch die Ausschreibung über die „Planungsleistungen von Architekten für den denkmalgerechten Umbau, Modernisierung und die Erweiterung der Staatsoper mit seinem Opernhaus und angrenzenden Funktionsgebäuden“ auf den Weg. Einsendeschluss: 24. November, 14 Uhr.

Im zweiten Anlauf ist das interessierte Publikum ausgesperrt, selbst die Architektenkammer wird nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen. Eigene kreative Leistungen der Bewerber sind nicht mehr gefragt, statt eines öffentlichen Wettbewerbs gibt es nur interne Verhandlungen mit den potenziellen Bauausführern. Der Senat will den Zeitplan unbedingt halten: Am 2. Januar 2009 beginnt der Umbau des Schiller-Theaters in Charlottenburg, das für drei Jahre als Ausweichquartier dienen soll. Die letzte Aufführung im maroden Stammhaus Unter den Linden ist für den 31. Mai 2010 angesetzt. Im Herbst 2013 soll der Musentempel dann wieder in altem, neuem Glanz erstrahlen.

Der Opernliebhaber Stephan Braunfels mag sich nicht vorstellen, dass nun der dogmatische Denkmalschutz regiert, der am liebsten Richard Paulicks pseudohistorische Nachschöpfung von 1955 bis auf den allerletzten Krümel Originalverputz erhalten will. Der gesellschaftlich gut vernetzte Architekt hat verstanden, dass sich die ungewöhnliche Allianz aus nostalgischen Ex-DDR-Bürgern und wertkonservativen Westberlinern vor allem Eines wünscht: 2013 in ein vertrautes Ambiente zurückzukommen, bei der Eröffnungspremiere „ihren“ Zuschauerraum wiederzuerkennen. Daher schlägt er vor, das gesamte dekorative Nachkriegs-Konzept unangetastet zu lassen, aber den Kronleuchter samt stuckverziertem Plafond knapp vier Meter anzuheben. Auf diese Weise lässt sich nicht nur ein vierter Rang einfügen, wie er von 1844 bis 1945 bereits existiertet, sondern dank eines größeren Raumvolumens auch die Akustik verbessern.

Im Vergleich mit der Mailänder Scala oder Londons Covent Garden habe er die Staatsoper stets als „Puppenbühne“ empfunden, als „optisch zu gedrückt“, erklärt Braunfels. Darum wolle er nun „den Raum strecken, ohne in zu verändern“: Die zu weit in den Raum ragenden Proszeniumslogen rückt er etwas zur Seite und erweitert sie von zwei auf drei Logen, das Bühnenportal wird wie die Decke erhöht, das Parkett „um wenige, entscheidende Zentimeter“ tiefer gelegt. Alle diese Ideen finden sich bereits in den verschiedenen Entwürfen der ersten Runde, nur eben nicht eingebettet in Paulicks Optik.

Es sind sanfte Eingriffe, die Stephan Braunfels aus Liebe zur Musik in dem zum nationalen Symbol hochstilisierten Saal vornehmen will. Im offiziellen Vergabeverfahren rechnet er sich keine Chancen aus. Also geht er nun in Eigeninitiative an die Öffentlichkeit. Vielleicht verhallt seine Stimme ja diesmal nicht ungehört.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false