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Kultur: Links, linker, linkisch

Alter Rotwein, neue Schläuche: Über den zweifelhaften Erfolg der Linkspartei

Von Gregor Dotzauer

Was für eine Koinzidenz, dass die Feierlichkeiten zur vierzigsten Wiederkehr des Jahres 1968 mit dem Durchbruch der Linkspartei im Westen zusammenfallen. Doch während das eine zumeist höhere Politfolkore zu sein scheint, die unter Verzicht auf tiefere Gehalte noch einmal den abenteuerlichen Anbruch eines neuen Zeitalters heraufbeschwört, ist das zweite ein wirkliches Ereignis. Oder verhält es sich genau umgekehrt?

Die Linke zerfällt seit geraumer Zeit in eine soziale und eine kulturelle Linke. Die soziale Linke steht für Umverteilung von oben nach unten, für organisierte Interessenvertretung und das Vertrauen in einen Staat, der in der Lage ist, die geforderte Verteilungsgerechtigkeit durchzusetzen. Die kulturelle Linke dagegen steht für die Rechte von Minderheiten, für die informelle Bewegung und die Skepsis gegenüber etatistischen Lösungen. Das ganze Staats- und Parteiwesen ist ihr fremd, nachdem es ihr vor allem um Blick- und Sprachveränderungen geht – mit einem abgenutzten Wort: um Diskurse.

Der Begriff der kulturellen – oder kulturalistischen – Linken geht auf den in Harvard lehrenden afroamerikanischen Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates zurück. In „Loose Canons: Notes on the Culture Wars“ beschrieb er 1992 die stille Allianz von Schwarzen und Schwulen, Lesben und Hispanos. Man muss davon nicht die geringste Ahnung haben, um die deutsche Linkspartei zur sozialen Linken zu rechnen. Ja sie scheut die kulturelle Linke wie der Teufel das Weihwasser. Das hat nichts damit zu tun, dass sie mit dem Anstoß zur Mindestlohndebatte und anderen „Reformen zur Überwindung des Kapitalismus“, wie es in ihrem Programm heißt, Prioritäten setzt, für die sie als Lobby der Entrechteten nun einmal gewählt worden ist. Es hat damit zu tun, dass sie in der Analyse der politisch-ökonomischen Verhältnisse größtenteils bei einem Deutschland in den Grenzen von 1989 stecken geblieben ist – erweitert um das magische Schreckenswort Globalisierung. Mit der Linkspartei zieht das letzte Aufgebot eines alten Denkens in die Landtage ein.

Die Gründe liegen auf der Hand. Die Linkspartei hat im Osten ein Problem als Nachfolgepartei der SED, obwohl ihre Protagonisten angeblich schon vor der Wende gern aufrechte Demokraten gewesen wären, wenn man sie nur gelassen hätte. Sie hat ein Stasi-Problem, wofür Oskar Lafontaines Bitte, Kerstin Kaiser, weiland als „IM Katrin“ in Leningrad unterwegs, möge ihre Spitzenkandidatur für die brandenburgische Linkspartei nicht im laufenden hessischen und niedersächsischen Wahlkampf bekannt geben, nur ein Zeichen ist. Sie hat im Westen zu viele alte Apparatschiks – und hat mangels anderen Personals ein DKP-Problem. Zwar leisten hier wie dort ehrenwerte Persönlichkeiten vor Ort engagierte, segensreiche Arbeit. Um eine schlagkräftige Partei zu bilden, fehlt es jedoch hinten und vorn an Fantasie.

Perspektivenwechsel. Der Philosoph Richard Rorty beklagt in seinem Buch „Stolz auf unser Land“, die kulturelle Linke habe die soziale aufgefressen, Freud sei an die Stelle von Marx getreten. „Große Teile dieser Linken“, schreibt Rorty, „spezialisieren sich darauf, was sie die ,Politik der Differenz’, der ,Identität’ oder der ,Anerkennung’ nennen. Diese kulturelle Linke denkt mehr über Stigmata nach als über Geld, mehr über verborgene psychosexuelle Beweggründe als über offensichtliche Gier.“

In der Tat kann man es als Luxusproblem betrachten, mit Judith Butler darüber nachzusinnen, ob Frausein ein biologisches Schicksal ist oder eine gesellschaftliche Zuschreibung, während nebenan Menschen sterben, die sich keine Krankenversicherung leisten können. Nur: Die amerikanische Situation lässt sich nicht übertragen. Deshalb müsste man Rortys Beschwerde, die kulturelle Linke habe zu viel Foucault gelesen und sich zu sehr in eine „Mikrophysik der Macht“ vertieft, im Interesse der deutschen Linkspartei umkehren.

Wie könnte sie begreifen, welches wohlige Kribbeln die kapitalistischen Warenströme unter der Haut auslösen? Wo hätte sie jenseits wohlfeiler Proteste gegen die elektronische Überwachung durch den Staat den Umschwung – um mit Gilles Deleuze zu sprechen – von einer Disziplinar- zu einer Kontrollgesellschaft erkannt? Welche Lichtjahre trennen sie von einem Verständnis der „neuen Weltordnung“, wie es Michael Hardt und Toni Negri mit der Attac-Bibel „Empire“ entwickelt haben? Bei der Linkspartei hat man den Eindruck, wir lebten noch immer im Zeitalter von Gerhart Hauptmanns „Webern“.

In der Politik geht es nicht nur um Ideen, Argumente und vernünftige Einigung. Es geht um Kampf und Zähnefletschen, Einlenken und Zurückweichen, selbst wo es der Ratio widerspricht. Insofern ist die Forderung nach intellektueller Kompetenz der Linkspartei das eine. Etwas anderes ist die Tatsache, dass sich in ihrem Erfolg etwas von den bürgerlichen Parteien Verdrängtes artikuliert. Dennoch führt nichts daran vorbei, dass es weder eine soziale ohne eine kulturelle Linke noch eine kulturelle Linke ohne eine soziale geben kann. Im Moment sieht es nicht danach aus, als würden die beiden aufeinander zugehen.

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