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Kultur: Listen für Liebhaber

Kanada war verliebt und feierte sie: In jedem Café, in jedem Supermarkt und fast jeder Radiostation legte täglich jemand Alanis Morissettes Album "Jagged little Pill" auf. Leute, die etwas an der zornigen, jungen Lady und ihrem rockigen Alternative-Pop auszusetzten hatten, waren damals in der Minderheit.

Kanada war verliebt und feierte sie: In jedem Café, in jedem Supermarkt und fast jeder Radiostation legte täglich jemand Alanis Morissettes Album "Jagged little Pill" auf. Leute, die etwas an der zornigen, jungen Lady und ihrem rockigen Alternative-Pop auszusetzten hatten, waren damals in der Minderheit. Zu ihnen gehörte Derek, ein etwas abgehalfterter Gelegenheitsroadie mit einem zerbeulten japanischen Kleinwagen, den er seltsamerweise immer kurzschließen musste. Wer mit ihm unterwegs war, wurde gratis mit Verschwörungstheorien, Joints und Musikkritiken versorgt. Wenn Derek allerdings auf Morissette angesprochen wurde, den erfolgreichsten kanadischen Musikexport seit Bryan Adams, verfinsterte sich seine Miene unter dem ledernen Rangerhut: "Was Alanis macht, ist nicht schlecht. Aber sie muss umbedingt aufhören, Mundharmonika zu spielen. Das kann sie einfach nicht, es ist furchtbar. Sie sollte das Bob Dylan überlassen."

Vielleicht sind sich Derek und Alanis in den sieben Jahren, die seither vergangen sind, einmal zufällig begegnet. Vielleicht hat ihr aber auch jemand anderes von der Mundharmonika abgeraten - jedenfalls hat sie auf das Instrument bei den Aufnahmen für ihr aktuelles Album "Under Rug Swept" (Maverick) verzichtet. Ansonsten hat sich die 27-Jährige allerdings kaum verändert, obwohl sie diesmal nicht mit ihrem langjährigen Co-Komponisten und Erfolgsproduzenten Glen Ballard zusammenarbeitete. Nach langwierigen Streitereien mit ihrer Plattenfirma, die von Madonna und Warner geleitet wird, erhielt Morissette die völlige künstlerische Kontrolle. Sie schrieb und produzierte die Platte komplett selbst.

In elf Songs entwickelt sie ihre beiden großen Stärken: rockige Midtempo-Stücke im Mitnick-Beat und mit eingängigem Refrain sowie folkige Balladen. Die Single "Hands Clean" gehört zur ersten Kategorie. Es ist der beste Song des Albums und schoss bereits in der ersten Woche auf Platz 18 der deutschen Charts, weswegen Morissette bei der gestrigen "Echo"-Verleihung zu Gast war. Morissette erzählt darin von einer vergangenen Beziehung zu einem Mann, der sie gebeten hatte, über ihre Verbindung zu schweigen. Die Strophen singt sie aus seiner Perspektive, den Refrain aus ihrer. So entsteht ein Dialog, in dem sie schließlich das Wort und die Interpretationsmacht zurückgewinnt. Was unter den Teppich gekehrt wurde ("under rug swept"), liegt jetzt offen auf dem Tisch.

Die Wut der Verlassenen

Liebhaber von Alanis Morissette riskieren immer, sich in den Liedern der Frau mit der langen Mähne und dem riesigen Mund zu verlieren. So stammt ein großer Teil der Wut, die auf dem weltweit rund 28 Millionen mal verkauften Erfolgs-Album "Jagged little Pill" (1995) zu hören ist, aus Morissettes zerbrochener Beziehung zu dem Komiker David Coulier. Ihm galt die grandiose Eifersuchtshymne "You Oughta Know", die der Sängerin zwei Grammies und eine riesige Fangemeinde bescherte. Auch auf dem weniger erfolgreichen Nachfolge-Album "Supposed former Infatuation Junkie" (1998) reflektierte Morissette wieder ausführlich über ihre Männergeschichten. In der melancholischen Ballade "Unsent" spricht sie fünf Verflossene sogar mit Namen an und rekapituliert zentrale Stationen ihrer gemeinsamen Geschichte. "Schließlich wissen die Männer vorher, auf was sie sich einlassen. Ich bin eine Künstlerin, die autobiografische Lieder schreibt", sagt sie dazu. Wer damit nicht umgehen könne, solle lieber gleich verschwinden. Netterweise gibt sie dem anderen Geschlecht, das auch diesmal wieder Hauptthema ist, auch Tipps, wie man bei ihr landen kann: Im Opener "21 Things I Want In A Lover" zählt sie auf, welche Eigenschaften ihr Traummann haben muss - für Politik müsse er sich interessieren, intelligent sollte er sein und ungehemmt im Bett. Und so weiter.

Bei so viel Mitteilungsdrang reichen Morissette ihre drei- bis fünfminütigen Klangerzählungen nicht mehr aus. Sie braucht mehr Platz und möchte ein Buch schreiben. Schon jetzt sind die Booklet-Seiten ihrer Alben manchmal bis auf den letzten Millimeter mit Worten übersät. "Ich weiß, ich will immer viel zu viel sagen. Oberste Priorität hat der Inhalt, den ich kommunizieren will. Das kommt vor der Melodie", sagte sie dem "Musikexpress". Die Inhalte stammen immer aus ihrem Leben. So hat man beim Hören der letzten drei Albem manchmal das Gefühl, in einem Tagebuch zu lesen. Ob Indienreise, Kindheitstrauma oder Beziehungskrise - alles findet sich in sperrigem Vokabular, aber doch unverschlüsselt in ihren Songs wieder. Der Effekt ähnelt einer Nachmittags-Talkshow: Man fragt sich, ob man das alles eigentlich wissen will.

Während beim Fernsehen Zappen hilft, lohnt es bei Alanis Morissette, auf musikalische Nebenschauplätze zu achten - zum Beispiel die Bass-Parts. Denn "Under Rug Swept" hat illustre Gastmusiker zu bieten, die ihre Sache dezent-gut lösen. So ist auf "Narcissus" Flea von den Red Hot Chili Peppers zu hören, der schon bei "You Oughta Know" druckvoll im Hintergrund mitgewirkt hatte. . Und zweimal wird Morissette von der großartigen Sängerin und Bassistin Meshell Ndegeocello unterstützt, deren präzises Motiv noch das Interessanteste an dem etwas uninspirierten "You Owe Me Nothing In Return" ist. Sieht man von kleinen Hängern wie diesem ab, ist Morissettes erstes eigenproduziertes Album ein solides und ausgeglichenes Stück Gitarrenpop - kein Überflieger wie "Jagged little Pill", aber auch kein Absturz. Und die Kanadier werden es auf jeden Fall wieder lieben. Schließlich mochten sie Alanis Morissette schon, als sie noch ein Teenager war und mit "Alanis" (1991) und "Now is the Time"(1992) bei MCA zwei Dancealben herausbrachte. Sowas vergisst man nicht - auch wenn die Sängerin schon seit Jahren in Kalifornien lebt. Was Derek wohl von dem neuen Album hält?

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