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Literatur BETRIEB: Die großen Lieben

Bis zur Verkündung der Longlist des Deutschen Buchpreises 2010 ist es noch etwas hin, neun Tage, um genau zu sein, aber über die deutschsprachigen Bücher, die den Bücherherbst bestimmen und vermutlich auf dieser Liste stehen werden, ist vorab schon viel die Rede. Am meisten diskutiert – oder vielmehr: gelobt – wird Thomas Hettches in zehn Tagen erscheinender Roman „Die Liebe der Väter“.

Bis zur Verkündung der Longlist des Deutschen Buchpreises 2010 ist es noch etwas hin, neun Tage, um genau zu sein, aber über die deutschsprachigen Bücher, die den Bücherherbst bestimmen und vermutlich auf dieser Liste stehen werden, ist vorab schon viel die Rede. Am meisten diskutiert – oder vielmehr: gelobt – wird Thomas Hettches in zehn Tagen erscheinender Roman „Die Liebe der Väter“. Ganz nah an der „Lebenswirklichkeit“ sei dieser Roman, schwärmte die „FAZ“ – und die Lebenswirklichkeit schlug tatsächlich zu, als letzte Woche das Verfassungsgericht die Position der Väter in Sachen Sorgerecht stärkte. „Das Verfassungsgericht antwortet der Literatur“, wusste die „FAZ“ daraufhin.

Im Zentrum von Hettches Roman steht ein Vater, der mit seiner Tochter Annika eine Silvesterwoche auf Sylt verbringt und über die Schwierigkeiten sinniert, die sich nach der Trennung von der Mutter seiner Tochter für ihn ergeben. Hettche erzählt von der Liebe der Väter, ihrer Wut, ihrer Ohnmacht, gerade wenn sie kein Sorgerecht haben (was sich jetzt nach dem Verfassungsgerichtsurteil allerdings etwas anders darstellt). Aber auch von ihrer Schuld: „Du warst mir irgendwann nicht so wichtig, wie ich mir selbst. Das ist die Schuld, Annika, die ich seitdem mit mir herumtrage. Aber ich weiß nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Ich weiß nur: Ich hab dich immer geliebt.“

„Die Liebe der Väter“ gilt als einer der Favoriten für den Buchpreis. Das heißt jedoch nicht viel, sind die Entscheidungswege von Jurys doch verschlungen. Gut möglich, dass Hettche wie 2006 nach der Verleihung sehr, sehr böse aus der Wäsche schaut. Damals galt er mit seinem Amerika-Roman „Woraus wir gemacht sind“ als Favorit, musste sich aber Katharina Hackers „Habenichtse“ geschlagen geben. Dieses Mal könnte ihm Thomas Lehr im Weg stehen, von dessen Roman „September. Fata Morgana“ aus Jurykreisen viel Gutes zu hören war. Ein Roman über zwei Väter, einen deutschen, einen irakischen, und ihre toten, am 11.9.2001 und in Bagdad 2004 ums Leben gekommenen Töchter. Also nicht zuletzt auch ein Roman über die Liebe von Vätern, von denen der eine übrigens gleichfalls getrennt von der Mutter seiner Tochter lebt.

Gegen Lehr spricht die eigenwillig lyrische, auf Satzzeichen verzichtende Sprache, die fordert, diesen Roman sich hart zu erarbeiten, was nicht jedermanns Sache ist. Andere Nennungen für den Preis sind Alexander Osangs Wenderoman „Königstorkinder“ oder Ricarda Junges „Die komische Frau“, der von der Berliner Karl-Marx-Allee und den Bewohnern der stalinistischen Prachtbauten handelt. Oder Martin Mosebachs Beziehungs- und Paarreigen „Was davor geschah“, Ferdinand von Schirachs umjubelter Erzählband „Schuld“ (siehe Tsp vom 2.8.), vielleicht gar Franka Potentes Erzählungen „Zehn“, vielleicht auch Norbert Gstreins nach realem Suhrkamp-Vorbild angelegtes Verlegerwitwenporträt „Die ganze Wahrheit“.

Apropos Gstrein, apropos Suhrkamp: Zählt man auf, was Gstreins Verlag Hanser zuletzt an Preisen eingeheimst hat – Büchner-Preis an Reinhard Jirgl, Literaturnobelpreis an Herta Müller, Friedenspreis an David Grossman –, wird einmal mehr deutlich, wie Suhrkamp gerade gegenüber Hanser ins Hintertreffen geraten ist, zumal auch Mosebach und Lehr Hanser-Autoren sind. Suhrkamp wartet dagegen mit Andreas Maier auf, dessen neuen Roman „Das Zimmer“ der Verlag als möglichen „Beginn einer großen Familiensaga“, als „Reflexion über Zeit und Zivilisation“ ankündigt. Und etwas abseitiger, popistischer mit Rafael Horzons „Weißem Buch“, in dem der Möbelbauer, MitteGuru und Gründer der legendären „Wissenschaftsakademie“ aus seinem Leben erzählt. So ein Buch auf der Longlist des Buchpreises, das wäre was – dafür aber ist die Welt, gerade die eher auf die Hettches und Lehrs abonnierte deutschsprachige Literaturwelt, noch nicht bereit.

Horzons Buch erscheint übrigens in einem schön weißen Softcover. Auch der Suhrkamp Verlag hat erkannt, dass Softcover momentan die erfolgversprechendsten Formate auf dem Buchmarkt sind. Was Suhrkamp sonst für Anstrengungen unternimmt, um wieder Geld in die Kassen zu spülen, Krimis, T-Shirts etc. – das aber ist eine andere Geschichte, die vielleicht Norbert Gstrein eines Tages erzählt.

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