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Frisch in der Werkstatt des Berliner Grafikers Anselm Dreher.

© Akademie der Künste, Sammlung Maria Rama

Literatur: Hackepetergemütlich

Die Akademie der Künste präsentiert die Berliner Jahre von Max Frisch, der in Friedenau wohnte und sich viel im Ostteil der Stadt umtat.

Man könnte es für gutes Marketing halten. Die Max-Frisch-Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste, die im vergangenen Jahr zum 100. Geburtstag des Autors bereits in Zürich zu sehen war, ist von den Kuratoren, so wird es angekündigt, um einen spektakulären Teil erweitert worden. Erstmals sind Ausschnitte aus dem „Berliner Journal“ zu sehen, das Frisch führte, während er von 1973 bis 1978 in der Friedenauer Sarrazinstraße lebte, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Günter Grass und Uwe Johnson. Wenige Straßen weiter wohnte Hans Magnus Enzensberger. Man traf sich regelmäßig, stritt, diskutierte Texte, häufig am langen Tisch in Frischs Wohnung, der seiner Frau Marianne für ihre Übersetzungs- und Lektoratsarbeiten diente.

Frisch selbst hat verfügt, dass die Aufzeichnungen aus diesen Jahren, die mehrere Ringhefte umfassen, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes erst 20 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden dürfen. Das schien Spektakuläres zu verheißen, ist Frisch doch nicht dafür bekannt, sein Intimstes, vor allem aber seine Intimsten auszusparen.

Nicht ohne meine Pfeife. Frisch mit Günter Grass in Friedenau, 1975.
Nicht ohne meine Pfeife. Frisch mit Günter Grass in Friedenau, 1975.

© Akademie der Künste, Sammlung Maria Rama

Frisch starb 1991. Doch der Stiftungsrat der Max-Frisch-Gesellschaft sichtete das „Berliner Journal“ und entschied dann, dass es noch immer nicht in Gänze der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden darf. Das mag die Spekulationen darüber und das Interesse daran noch einmal steigern, was die Aufzeichnungen an kleinen Skandalons enthalten könnten. Selbst der genaue Umfang des „Berliner Journals“ dürfe vorerst nicht bekannt gegeben werden, entschieden die Züricher Erbverwalter.

Abgang. Frisch mit Günter Grass in Friedenau, 1975.
Abgang. Frisch mit Günter Grass in Friedenau, 1975.

© Akademie der Künste, Sammlung Maria Rama

Ob das, was jetzt als Nachlassgut unter höchster Geheimhaltungsstufe lanciert wird, einer literaturhistorischen Perspektive stand hält, bleibt zu bezweifeln. Es bedarf wenig Hellsicht, um zu vermuten, dass die Veröffentlichung vor allem die Persönlichkeitsrechte von Marianne Frisch betreffen würden, der zweiten Ehefrau des Schriftstellers. In den Berliner Jahren verschärfte sich die Krise des Paares. Die Scheidung folgte 1981. Nicht nur in Briefen tut Frisch die zunehmenden Differenzen mit seiner gut drei Jahrezehnte jüngeren Frau kund. Sein Erfolgsroman „Montauk“, der während der Berliner Zeit erscheint, ist das perfideste Dokument der Trennung.

Das „Berliner Journal“ hätte dem gewiss noch einiges hinzuzufügen. So hat es durchaus sein Gutes, dass im Hanseatenweg gerade einmal 29 DIN-A5-Seiten zu sehen sind. Kariert, mit Schreibmaschine getippt (mithin von Frisch ins Reine geschrieben) und gelb angelaufen liegen sie weitgehend unkommentiert auf einem langen Tisch. Ergänzt wird das Ganze durch drei kurze Filmsequenzen: Interviews mit Barbara Honigmann, Günter Grass und Lars Gustafsson, der als DAAD-Stipendiat hin und wieder bei den Friedenauer Dichtertreffen zugegen war.

Tatsächlich hätte diese schmale Auswahl eher den Namen „Ost-Berliner Journal“ verdient, berichtet Frisch in den zugänglichen Seiten doch fast ausnahmslos Episoden aus dem Ostteil der Stadt: Begegnungen mit Biermann oder Christa und Gerhard Wolf im Operncafé etwa, die Frisch voller Sympathie für die vorsichtige Skepsis und gleichermaßen überlegte Solidarität des Paares dem System gegenüber kommentiert. Dazu ein Gespräch beim Verlag Volk und Welt, der eine systemverträgliche Auswahl aus Frischs Texten zusammenstellt, bei der Frisch helfend zur Seite steht, keineswegs verstimmt, sondern dominiert vom Verständnis für die Situation der Lektoren genauso wie vom grundsätzlichen Wunsch, in der DDR veröffentlicht zu werden. Allenfalls milde polemisch ist seine Bemerkung zu verstehen, auf seiner Lesung beim Deutschen Schriftstellerverband, in der offensichtlich nur vorsortiertes Publikum anwesend ist, wiege man sich in „Hackepetergemütlichkeit“.

Aus der Reihe fällt einzig das erste Blatt. Hier spricht der Stadtplaner Frisch, der mit dem Blick des von außen Kommenden die breiten Straßen Berlins vermisst, aus denen sich kein Zentrum zusammenfügen will. Ein Vakuum, wie Frisch es nennt, und damit erahnen lässt, dass der Leser im „Berliner Journal“ womöglich auf interessante Zeit- und Mentalitätsdiagnosen aus der geteilten Stadt stoßen würde. Das allerdings muss vorerst Spekulation bleiben, wohingegen sich zumindest zum jetzigen Zeitpunkt die grundsätzliche Frage nach der Notwendigkeit der Ausstellung des „Berliner Journals“ stellt. War schon 2010 um die Veröffentlichung des dritten Tagebuchs ein Streit zwischen Stiftungsvorstand Peter von Matt und Adolf Muschg ausgetragen worden, dann mag man es hier einmal mehr mit einem Gespinst aus internen Fragen um Deutungshoheit und Juristerei zu tun haben.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 11. März, Di-So 11-20 Uhr.

Wiebke Porombka

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