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Lässigkeit und Leggerezza. Gregor von Rezzori (1914-1998) vor seine Villa auf dem Landgut Santa Maddalena.

© picture alliance / Effigie/Leema

Literatur: Lachen vertreibt die Dämonen

Von der Bukowina in die Toskana: An seinem 100. Geburtstag hätte es der Erzähler Gregor von Rezzori verdient, auch in Deutschland so begierig gelesen zu werden, wie es in anderen Ländern der Fall ist.

Vielleicht ging es den Deutschen mit Gregor von Rezzori so wie manchen Touristen mit Venedig: Sie sehen gotische Palazzi im grünblauen Wasser treiben, den Dogenpalast wie ein spitzendurchwirktes Batisttüchlein im rosafarbenen Morgenlicht schweben, die Kuppeln der Markuskirche als graugrün schillernde Seifenblasen auf filigrane Alabastersäulen herabsinken, sie sehen, wie alles leicht, flirrend, scheinbar flüchtig und doch für die Ewigkeit gemacht ist, und sagen: Gott, ja, Venedig! Aber viel zu wenige Papierkörbe hier.

Wenn deutsche Leser Rezzori loben wollten, dann sagten sie: „Wer es gewohnt war, von Rezzori mit Seichterem bedient zu werden, wird hier enttäuscht.“ Rezzori war ein Schriftsteller, wie er hierzulande nicht vorgesehen war: Freigeist, Weltbürger, Märchen- und Mythenerzähler, gelernter Mitteleuropäer, Spurensucher, literarischer Kronzeuge eines versunkenen Europas, „Epochenverschlepper“: einer, der Menschen, Namen, Erfahrungen, Welten und ganze Zeitalter mit sich herumschleppte.

Am 13. Mai vor 100 Jahren kam Gregor von Rezzori als jüngster Spross einer Adelsfamilie sizilianischen Ursprungs in Czernowitz zur Welt. Einige Wochen vor Beginn des Ersten Weltkriegs, als Czernowitz noch zum kakanischen Kronland Bukowina gehörte und dort sechs verschiedene Völker, acht Sprachen und sieben Religionen lebten. Ein mitteleuropäisches Universum, das Schriftsteller von Weltgeltung hervorbringen sollte: Paul Celan, Rose Ausländer – und eben Gregor von Rezzori.

Grischa, wie ihn Familie und Freunde zärtlich nannten, war fünf Jahre alt, als das Land unterging: „1919 kam die Bukowina an Rumänien. Ich war bald kein österreichisches Kind mehr, das stolz auf seinen Kaiser sein konnte, den alten, gütigen mit seinem Hausmeister-Backenbart und dem weißen Waffenrock mit der roten Schärpe, und den neuen, unglücklichen im schlichten Feldgrau. Ich gehörte fortan zu einer der Minderheiten des Königreichs Rumänien wie die Juden, die Ukrainer, die Russen Bessarabiens, die Sachsen und Ungarn Siebenbürgens.“ 1940 wurde Czernowitz sowjetisch, den Krieg durchlebte Rezzori als Staatenloser in Berlin. Ein Leben lang behielt er den Blick des Fremden. Was nach dem Tod Europas verloren gegangen sei?, wurde er einmal gefragt. „Ein bestimmtes Licht, ein gewisser Lufthauch und das Mitgefühl“, sagte er.

Nach Kriegsende ging Rezzori nach Hamburg zum NWDR, wo er als Hörfunkautor schon jene Bandbreite und Leichtigkeit an den Tag legte, jenes Wandeln zwischen E und U, das ihm in Deutschland nie verziehen werden sollte: Er berichtete nicht nur über die Nürnberger Prozesse, sondern schrieb für das Nachtprogramm auch die „Maghrebinischen Geschichten“ (1953), die als Buch Millionenauflagen erzielten: Geschichten aus einem Land, das „in keinem Atlas eingezeichnet und auf keinem Globus zu finden ist“, erzählt mit hintergründigem Witz. Als Schriftsteller sezierte Gregor von Rezzori nicht nur die Gesellschaft, sondern auch sich selbst. Sein Werk ist ein mäandernder Bewusstseinsstrom, in dem Sätze und Bilder treiben, die man nicht mehr vergisst. Der Roman „Der Tod meines Bruders Abel“ (1976) schildert die Geschichte Europas aus der Sicht eines Verzweifelten, bemerkte Elie Wiesel. Sein „Ödipus siegt vor Stalingrad“ (1954) kratzte an der noch feuchten Firnis der Fünfzigerjahre, sein „Hermelin in Tschernopol“ (1958) wurde mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet. Aber obwohl die deutsche Literatur diesem „Anatom gesellschaftlicher Zerfallsprozesse", wie Tilmann Spengler ihn nannte, große Romane, Erzählungen und Essays verdankt, wird Gregor von Rezzori ein Platz im hiesigen Literaturkanon bis heute verwehrt. Es gibt keine Gesamtausgabe seines Werks, er taucht selten in Vorlesungsverzeichnissen und noch seltener in Literaturgeschichten auf.

Im Ausland hingegen gilt Rezzori als einer der bekanntesten, elegantesten Erzähler und Essayisten deutscher Sprache. George Steiner hob die „Memoiren eines Antisemiten“ (1979) als eines der wenigen Büchern hervor, die von der deutschen Nachkriegsliteratur übrig blieben, Michael Ignatieff pries in der „Washington Post“ die autobiografische Erzählung „Blumen im Schnee“ (1989) als Meisterwerk, renommierte Germanisten wie Andrea Landolfi in Italien oder Anibal Campos in Spanien und Lateinamerika widmen sich seinem Werk, Schriftsteller wie Claudio Magris, Michael Ondaatje oder Bruce Chatwin schätzten nicht nur seine Bücher, sondern auch seine Freundschaft. Nur hier wurde er das Stigma des Unterhaltungsschriftstellers nicht los.

Deutschland war nicht sein Fall - es war für eine Falle

„Nach Deutschland war ich gekommen wie in eine Falle“, schrieb er später. „Dort gehörte ich nicht hin. Ich war’s nicht, der dort unter meinem Namen, mit meiner Nase, mit meinem blauen Blick, meinen besonderen unvermerkten Merkmalen und meinen Kleidern herumlief; und war doch erst recht auf mich festgelegt. Mir war’s nicht wohl in meiner Haut. Ich spürte das Bedürfnis, aus mir heraus zu mir zurückzukommen.“ Er ging nach Italien, wo er das Leben empfand „wie ein Clochard ein warmes Bad“. Mit seiner italienischen Frau, der Galeristin Beatrice Monti della Corte zog er zusammen mit 16 Möpsen auf das Landgut Santa Maddalena in die Toskana, unweit von Florenz. Noch in den deutschen Nachrufen wurde Rezzori zum „Schlawiner“, „Schlitzohr“ und „Salonlöwen“ degradiert – hatte er seine Leser doch schändlicherweise zum Lachen gebracht.

Heute widmen ausländische Germanisten umfangreiche Forschungsarbeiten der Seltsamkeit, wie man den Schriftsteller hierzulande derart verkennen konnte, dass ihm Selbstironie und seine elegante Haltung vorgeworfen und seine produktive Vielseitigkeit als „Prostitution“ geschmäht wurde, bloß weil Gregor von Rezzori nicht auf Literaturstipendien wartete, sondern für „Illustrierte“ arbeitete. „Hier hat man die blödsinnige Vorstellung, dass man den Bereich des Literarischen nicht verlassen darf. Ich lebe nun mal von meiner Schreibfeder. Und die einzige Moral, die ich besitze, ist das, was ich tue, ordentlich zu tun.“

Dass Rezzori als Schauspieler und Drehbuchautor an Filmen mitwirkte, die bekanntesten sind Louis Malles „Viva Maria!“ mit Jeanne Moreau und Brigitte Bardot und Schlöndorffs „Michael Kohlhaas“, machte die Sache nicht besser. Noch unheimlicher war, dass er über sich selbst zu spotten verstand. „Lachen vertreibt Dämonen“, war seine Devise.

Auch im Alter war er noch ein schöner Mann mit wachen, hellen Augen, in deren Winkeln Ironie schimmerte. Hybris und Pomp blieben ihm fremd. Ein Schriftsteller hat keinen Einfluss auf die Welt, aber auf seine Erscheinung, befand er. Auch posthumer Ruhm interessierte ihn nicht. „Nach mir die Sintflut“, sagte er, als seine Frau vorschlug, eine Stiftung ins Leben zu rufen.

Glücklicherweise hielt Beatrice Monti della Corte sich nicht daran. Auf dem Landgut wird in der Stiftung Santa Maddalena zwischen Glyzinien, Olivenbäumen und Kaskaden von Rosen der Geist von Gregor von Rezzori bewahrt, gehen Schriftsteller, Künstler und Freunde ein und aus. Die Stiftung organisiert in Florenz ein Literaturfestival, bei dem jedes Jahr das Werk eines nicht-italienischen Schriftstellers und ein Übersetzer ausgezeichnet werden. In Santa Maddalena arbeiten Stipendiaten an Rezzoris Schreibtisch oder in jenem rosa-weiß-gestreiftem Zimmer im Wachturm, in dem einst Bruce Chatwin saß und schrieb.

Gregor von Rezzori wurde zu Füßen des Wachturms begraben, unter einer kleinen Pyramide aus Porphyr. Als Geburtsort hat seine Frau „Tschernopol“ in den Stein schneiden lassen.

Petra Reski

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