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Literatur: Nobelpreis für Harold Pinter

Der diesjährige Nobelpreis für Literatur geht überraschend an den englischen Dramatiker Harold Pinter. Pinter gelte als der "hervorragendste Vertreter des englischen Dramas in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts", hieß es in der Begründung.

Stockholm - «Pinter hat in seinen Dramen den Abgrund unter dem alltäglichen Geschwätz freigelegt und ist in den geschlossenen Raum der Unterdrückung eingebrochen», hieß es in der Begründung der Schwedischen Akademie in Stockholm. Literaturkritiker wie Denis Scheck und Sigrid Löffler äußerten in ersten Stellungnahmen Unverständnis, dagegen sprach Marcel Reich-Ranicki von einer «guten, einer richtigen Entscheidung».

Der Chef der Schwedischen Akademie, Horace Engdahl (56), begründete die Vergabe an Pinter auch mit dessen literarischer Verarbeitung politischer Probleme. Engdahl sagte im Rundfunk: «Von einem existenzialistisch begründeten Ausgangspunkt in den fünfziger und sechziger Jahren ist der späte Pinter politischer geworden. Er hat sich immer mehr politisch begründetem Leiden zugewandt.» Im vergangenen Jahr hatte mit der Österreicherin Elfriede Jelinek ebenfalls eine Autorin den mit 1,1 Millionen Euro dotierten Nobelpreis erhalten, die vornehmlich als Dramatikerin hervorgetreten ist. Die Überreichung findet traditionell am Todestag des Preisstifters Alfred Nobel am 10. Dezember in Stockholm statt.

Pinter stammt aus einer jüdischen Kleinbürgerfamilie und wurde am 10. Oktober 1930 in London geboren. Er habe in seinen bisher etwa 30 Dramen «aus der menschlichen Alltagssprache heraus dramatische Situationen geschaffen, die für uns die menschliche Existenz auf eine einzigartige Weise bloßstellen», sagte Engdahl weiter. Der Engländer sei außerdem «als Theatermann ein ausgesprochener Profi»: «Schauspieler lieben es, seine Stücke zu spielen. Er hat Dramaturgen auf der ganzen Welt fantastisches Material für ihre Arbeit gegeben.» Pinter Theaterstücke hätten ihren Ausgangspunkt oft in einem geschlossenen Raum: «Die dort eingeschlossenen Personen werden dann vom Dramatiker Pinter zum Ausbruch gezwungen.»

Als Dramatiker debütierte Pinter mit «The Room» («Das Zimmer), das 1957 in Bristol uraufgeführt wurde. Weitere frühe Dramen sind «The Birthday Party», 1957, («Die Geburtstagsfeier»), ursprünglich ein legendäres Fiasko, aber später eines seiner meistgespielten Stücke, und «The Dumb Waiter», 1957, («Der stumme Diener»). Seinen endgültigen Durchbruch erzielte er mit «The Caretaker», 1959, («Der Hausmeister»), dem unter anderem 1964 «The Homecoming» («Die Heimkehr») folgte. Seine Stellung als moderner Klassiker werde deutlich durch das Adjektiv «pinteresk», das eine gewisse Stimmung und ein gewisses Milieu in Theaterstücken beschreibe, erläuterte die Akademie.

Im typischen Pinter-Stück begegne man Menschen, die sich gegen fremde Manipulationen oder ihre eigenen Triebe dadurch verteidigen, dass sie sich hinter einem reduzierten und kontrollierten Dasein verschanzen. Ein anderes Hauptthema sei Flüchtigkeit und Unfassbarkeit der Vergangenheit. Als einige seiner stärksten Texte hob die Akademie «No Man's Land», 1974, («Niemandsland») und «Ashes to Ashes» (1996) hervor.

Als beliebteste Stücke in Deutschland nannte der Deutsche Bühnenverein die Werke «Der Hausmeister» und «Der stumme Diener». Derzeit wird Pinter allerdings hierzulande fast gar nicht mehr gespielt. «Da können sie lange suchen», sagte Franz Wille von der Fachzeitschrift «Theater heute». In den vergangenen Jahren gab es Inszenierungen in Bochum, Berlin, Potsdam und Memmingen.

Der Preis komme 30 Jahre zu spät, meinte Wille. Auch nach Ansicht von Reich-Ranicki ist die Auszeichnung «etwas spät». Löffler sprach von einer «bizarren Wahl», im übrigen sei Pinter außer Mode. Scheck bezeichnete die Vergabe sogar als «Beleidigung der Weltliteratur». «Es gibt viele große lebende Autoren, die in diesem Jahr wieder leer ausgegangen sind, zu Gunsten politischer Possenreißer wie Dario Fo.» Der italienische Theaterautor Fo war 1997 mit dem Nobelpreis geehrt worden. (tso/dpa)

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