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Literatur: Pamuk sagt Deutschlandreise ab

Der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk hat angesichts massiver Drohungen eine Deutschlandreise abgesagt. Die FU Berlin wollte ihm am Freitag die Ehrendoktorwürde verleihen.

Köln/München/Berlin/Istanbul - Der 54-jährige Romanautor habe seine Lesereise ohne Angabe von Gründen kurzfristig gestrichen und auf unbestimmte Zeit verschoben, teilte der Carl-Hanser-Verlag in München mit. Pamuk äußerte sich in Istanbul zunächst nicht zu seinen Gründen. Die geplanten Auftritte in Berlin, Köln, Hamburg, Stuttgart und München wurden abgesagt.

Der wegen Äußerungen zum Massenmord an den Armeniern im Osmanischen Reich von türkischen Nationalisten angefeindete Schriftsteller sehe sich nach dem Mord an dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink konkret gefährdet, schrieb der "Kölner Stadt- Anzeiger".

"Warnruf an die Türkei"

Bestürzt äußerte sich der Grünen-Europa-Abgeordnete Cem Özdemir über die Absage Pamuks. "Das ist ein Warnruf an die Türkei und die Regierung in Ankara. Sie muss für die Sicherheit von Intellektuellen sorgen", sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, zeigte sich erschüttert. Der umstrittene Paragraph, nach dem Pamuk wegen "Beleidigung des Türkentums" angeklagt worden war, müsse gestrichen werden.

Pamuk ("Schnee") sollte am Freitag in Berlin die Ehrendoktorwürde der Freien Universität erhalten. Das Präsidium und der Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften bedauerten die Absage "außerordentlich und bitten die Medienvertreter und die interessierte Öffentlichkeit um Verständnis". Die Ehrung sei verschoben. Eine für diesen Sonntag am Berliner Ensemble geplante Matinee soll aus Solidarität mit dem Autor auch ohne Pamuk stattfinden.

Türkische Gemeinde hofft auf Kommen

Die Türkische Gemeinde in Deutschland bekräftigte ihre Einladung an Pamuk zu einem Besuch in Deutschland. "Wir hoffen, dass er nach der Überwindung der gegenwärtigen Schwierigkeiten in diesem Jahr auch kommen kann", sagte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat.

Der Schriftsteller Ralph Giordano rief die muslimische Gemeinschaft in Deutschland zu Solidarität mit Pamuk auf und zu Protesten gegen die Morddrohungen. "Die Muslime in Deutschland müssen nun glaubwürdig und nachhaltig dokumentieren, dass ihnen Freiheit und Menschenwürde am Herzen liegen, und dass der Terror, der aus dem Islam kommt, auch ihr Feind ist", sagte Giordano dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, Hans-Joachim Otto (FDP), forderte die Türkei in der Zeitung auf, für die Sicherheit Pamuks zu sorgen.

Der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, Johano Strasser, äußerte Verständnis für Pamuks Entscheidung. Die Drohung sei ernst zu nehmen, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Auch in Deutschland gebe es unter den Türken militante Nationalisten. Der Leiter des Hanser Verlags, Michael Krüger, bestätigte, dass man für Pamuk in Deutschland Personenschutz angefordert und organisiert habe.

Keine Hinweise auf Attentat-Versuch in BRD

Die Gefahr eines Attentats auf Pamuk in der Bundesrepublik halten deutsche Sicherheitskreise indes für gering. Es gebe keine konkreten Hinweise auf eine Bedrohung des Schriftstellers durch in Deutschland lebende, nationalistische und rechtsextremistische Türken, sagte ein Sicherheitsexperte dem "Tagesspiegel". Möglicherweise habe es Pamuk in seiner verständlichen Angst vorgezogen, in der vertrauten Umgebung in der Türkei zu bleiben, weil er sich dort sicherer fühle. Der Verfassungsschutz beziffert das Potenzial rechtsextremer Türken in Deutschland auf etwas mehr als 7000 Menschen.

Im Untergrund - wie einst der Autor Salman Rushdie - lebt Pamuk nicht. Erst kürzlich war er bei einer Buchmesse in Kairo. Bei der Rückkehr nach Istanbul vergangenen Freitag fiel auf, dass er ab dem Flughafen begleitet wurde. Das scheint dafür zu sprechen, dass die türkischen Sicherheitsbehörden die Bedrohungen gegen ihn ernst nehmen. In der Öffentlichkeit hatte sich Pamuk zwei Tage nach dem Journalistenmord gezeigt, als er der Familie einen Beileidsbesuch abstattete. "In gewissem Sinn sind wir alle für seinen Tod verantwortlich", hatte er dort gesagt: "Besonders aber diejenigen, die den Paragrafen 301 (Verunglimpfung des Staates und Beleidigung der Türkentums) verteidigen und daran festhalten wollen." Dink sei wegen seiner Gedanken ermordet worden, "wegen seiner Gedanken, die unser Staat nicht akzeptiert". (tso/dpa)

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