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Literatur: Porträt: Orhan Pamuk

Der Schriftsteller ist ein Symbol für die aufgeklärte Türkei

Frankfurt/Main (22.06.2005, 14:08 Uhr) - Viele Jahre galt Orhan Pamuk als Autor von historischen Romanen, die mit der türkischen Gegenwart nur wenig zu tun haben. Doch mit seinem neuesten, im Februar erschienenen Werk «Schnee», das die Konfrontation von westlicher und islamischer Kultur thematisiert, hat er die gesamte nationalistische Presse in der Türkei gegen sich aufgebracht. Als der 53-jährige Schriftsteller Anfang dieses Jahres in einem Interview den türkischen Völkermord an den Armeniern erwähnte, schlug ihm noch mehr Hass entgegen. Ein Politiker forderte sogar, Pamuks Bücher sollten verbrannt werden. Im März 2005 sagte Pamuk deshalb eine Lesereise nach Deutschland ab.

Dabei ist der in Istanbul geborene Pamuk, dessen Großvater einer der ersten türkischen Fabrikanten war, in seiner Heimat ein Starautor. Seine Bücher erzielen hohe Auflagen. Vor allem für die jüngere Generation ist Pamuk, der in seiner Heimatstadt studierte und mehrere Jahre in New York lebte, zum Symbol für eine aufgeklärte Türkei geworden. Im Gewand des historischen Romans geht es dabei immer wieder um das Thema Identitätsverlust in einer Kultur, die zwischen Orient und Okzident zerrissen ist.

«Schnee», 2002 in der Türkei erschienen, ist der erste politische Roman Pamuks. Ein aus dem Exil heimgekehrter Schriftsteller will in der Provinz die Selbstmorde junger Frauen aufklären, die sich wegen des Kopftuchverbots umbringen. Die nordostanatolische Stadt Kars wird mit ihren Figuren - von den revolutionären Islamisten bis zu den enttäuschten Linken - zum türkischen Mikrokosmos. «Mein Roman handelt von den inneren Konflikten heutiger Türken, von den Widersprüchen zwischen Moderne und Islam, von der Sehnsucht, in Europa aufgenommen zu werden - und zugleich der Angst davor», sagte Pamuk in einem Gespräch mit der «Zeit» im April dieses Jahres.

Im Westen - auch in den USA - ist der Roman mit großer Begeisterung aufgenommen worden. Pamuk, dessen Bücher für ihre Mischung aus schwarzem Humor und intellektueller Verspieltheit gerühmt werden, wird von Kritikern bereits in eine Reihe mit Autoren wie den beiden großen Erzählern Jorge Luis Borges oder Italo Calvino gestellt. Seine Werke sind inzwischen in 34 Sprachen übersetzt.

Pamuk hat sich jedoch nicht erst seit «Schnee» mit den Autoritäten in der Türkei angelegt. Als einer der ersten solidarisierte er sich mit dem 1995 angeklagten kurdischen Schriftsteller Yasar Kemal, der 1997 für sein Engagement ebenfalls den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Pamuk verteidigte auch Salman Rushdie, der von islamischen Fundamentalisten wegen seiner «Satanischen Verse» verdammt worden war. 1999 lehnte er die vom türkischen Staat vorgeschlagene Ernennung zum «Staatskünstler» ab.

Pamuk ist ein leidenschaftlicher Verfechter der Einbindung der Türkei in die Europäische Union. Nur so könne sich die Türkei zu einem prosperierenden, demokratischen und toleranten Land entwickeln. «Unsere liberalen Politiker, die uns heute nach Europa bringen, waren zuvor Fundamentalisten. Die europäische Idee ist so großartig, dass sie aus Fundamentalisten Liberale macht. Europa muss das wissen», sagte Pamuk warnend im Februar der «Süddeutschen Zeitung».

Inzwischen hat die derzeitige Krise der EU den Beitritt der Türkei zur Gemeinschaft wieder in weite Ferne rücken lassen. Die Spannungen in dem Land, unter denen ein Brückenbauer wie Pamuk besonders leidet, könnten deshalb wieder zunehmen. Von daher hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit der diesjährigen Verleihung des Friedenspreises an Pamuk - wie schon 1997 bei Yasar Kemal - großes Gespür für die politische Aktualität bewiesen. (Von Thomas Maier, dpa)

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