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Anders

© dpa

Literatur: Uhren mit Ausgangssperre

Der Berliner Schriftsteller Richard Anders erhält den F.-C.-Weiskopf-Preis. Für seine Sprache „aus begnadetem, gebändigtem Allerleirausch und einer filigranen Vorstellungskühnheit."

Nicht jeder kann von sich sagen, er sei unter der Weltesche aufgewachsen. Ein altes Foto zeigt den etwa zwölfjährigen Richard Anders mit Eltern und Geschwistern im Herrenzimmer auf dem Sofa. An der Wand hängt eine Darstellung der Weltesche Yggdrasil, ein Auftragswerk des Malers Fidus. Man sieht die mächtigen Wurzeln, erkennt auch – direkt über den Köpfen der Fotografierten – die Nornen, die die Schicksale der Menschen bestimmen. Wenige Jahre später ist der Vater bei der Flucht aus Ostpreußen ums Leben gekommen, der junge Richard, der noch in den letzten Kriegstagen rekrutiert wurde, entgeht – der Desertion beschuldigt – dem Tod nur knapp.

Nach Kriegsende erreicht ihn eine Kiste mit den Resten der väterlichen Bibliothek, Schriften über Okkultismus und indische Philosophie, die er ohne zu zögern einem Antiquar zum Tausch anbietet – gegen etwas von einem Autor, von dem er gehört hat, man schwebe bei der Lektüre durch endlose Flure. Der Mythos Kafka wird ihn von da an durchs Leben begleiten. Anders, der 1928 im masurischen Ortelsburg geboren wurde und seit 1970 in Berlin lebt, erzählt von diesen Jugenderlebnissen in einem Kafka nachfolgenden „Brief an den Vater“ – einem Kapitel seines 1981 erschienenen autobiografischen Romans „Ein Lieblingssohn“, der 2004 unter dem Titel „Klackamusa“ neu aufgelegt wurde.

Darin ist auch von den Begegnungen die Rede, die seine Entwicklung als Schriftsteller gefördert haben: mit Hans Henny Jahnn, der für den Literaturstudenten in Hamburg zum Mentor wurde, dem Therapeuten, unter dessen Aufsicht er Anfang der sechziger Jahre LSD nahm und erlebte, dass ihm die Sprache „wie eine Nussschale auf dem Ozean“ davonschwamm. André Breton schließlich, in dessen Pariser Zirkel ihn der kroatische Surrealist Ivsic 1963 einführte, gibt ihm den Anstoß, sich dem eigenen „psychischen Automatismus“ der Wörter zu öffnen. Er habe ihm, sagt Anders, die Idee einer Prosa vermittelt, die wie vor sich hingesprochen wirke und dabei etwas von der verblüffenden Bildhaftigkeit, dem Witz eines Zen-Rätsels besitze.

Lange vor der Begegnung mit Breton war Anders sich über seine Affinität zum Surrealismus im Klaren. Seine dominante visuelle Veranlagung, vor allem die Erfahrung „hypnagoger“, dem Schlaf vorangehender Bilder, die er als eine Art innere Multimedia-Show beschreibt, korrespondierte mit den surrealistischen Traumvorstellungen, dem „Prinzip Collage“. All seine frühen Gedichtbände hat er mit eigenen Collagen ausgestattet. Sie sind 1998 in dem Sammelband „Die Pendeluhren haben Ausgangssperre“ wieder erschienen.

Am Surrealismus, der schon in den sechziger Jahren nichts Avantgardistisches mehr hatte, interessiert ihn bis heute das „Verfahren“: Sich zunächst den planlosen Einfällen der écriture automatique zu überlassen, um dann „in spielerischem Umgang mit meinem störrischen unsinnigen Text zu dem vorzudringen, was ich mir zu sagen habe“.

Das ist es auch, was die Jury des F.-C.- Weiskopf-Preises um Ingomar von Kieseritzky fasziniert: „In einer Sprache aus begnadetem, gebändigtem Allerleirausch und einer filigranen Vorstellungskühnheit beweist er uns, wie töricht es ist, zu glauben, eine surreale Aneignung der Welt müsse jeglicher Erkenntnisnähe entbehren“ , heißt es in der Begründung der mit 5000 Euro dotierten Auszeichnung, die ihm gestern Abend in der Akademie der Künste verliehen wurde.

Die bevorzugte Form des Prosagedichts ist ihm besonders in dem 1993 erschienenen Band „Verscherzte Trümpfe“ gelungen – einer Deutung der Figuren und Symbole des Tarotspiels. Der Kartenleger schenkt sich hier, ganz profan, reinen Wein ein, behandelt sich selbst wie einen ungeratenen Sohn: „Diese Medaille aus Dunkel, mit der du dich schmückst, ist nur ein gewöhnliches Schlupfloch, durch das du wie eine Elster ein- und ausschlüpfst, ein Stück glitzernder Fremde im Schnabel, unendlicher Schein.“ Der Unbelehrbare dieser inneren Zwiesprache ist zugleich der „Narr“ des Tarot, ein Suchender, der nicht aufhören kann zu fragen, den die Neugierde in unerforschte Regionen treibt – so wie Anders selbst immer wieder in die „wortgewordene Unvernunft“ seiner Texte eindringt oder sich halluzinatorischen Bilderfluten ausliefert, die er 1997 in „Marihuana Hypnagogica“ aufgezeichnet hat.

Solcher Neugier begegnet man schon in Anders’ erstem Prosaband, den 1979 in den LCB-Editionen erschienenen, bis 1999 fortlaufend vermehrten „Zeck“-Geschichten: Zeck, eine zu jeder Verwandlung fähige Kunstfigur, betreibt ununterbrochen Mimikry, springt komisch einer chaotischen Wirklichkeit hinterher, die sich nicht fassen lässt: Er nimmt Redensarten für bare Münze, „purzelt durch die Metaphern“ der Umgangssprache, stürzt ins Bildlose ab, ohne je über die „Grenzen seines Schädels“ hinauszugelangen; aber in Zeiten der Klone und Avatare hat Zeck, dieses zwischen Günter Eichs „Maulwürfen“ und Sibylle Lewitscharoffs „Pong“ angesiedelte Wortspielwesen, gute Chancen, sich zu behaupten: „Wäre ich Zeck“, schreibt Anders, „dann wäre ich mich jetzt los, wäre außer mir, endlich.“

Die Bücher von Richard Anders erscheinen im Berliner Druckhaus Galrev und der Luxemburger Edition Kairos.

Rolf Strube

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