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Literatur und Universität: Hallo Berlin!

Der Autor, die Welt und sein Dämon: Der Schriftsteller Rainald Goetz hält seine Antrittsvorlesung als FU-Gastprofessor. Ihr Titel: "Leben und schreiben. Der Existenzauftrag der Schrift."

Es ist eine uralte Popweisheit, dass mache Dinge sich nie ändern. Natürlich gilt das auch für manche Menschen, insbesondere Schriftsteller. Rainald Goetz trägt zwar an diesem frühen Donnerstagabend in der FU-Rostlaube, als er im voll besetzten Hörsaal 1b seine Antrittsvorlesung als Heiner-Müller-Gastprofessor hält, ein weißes Hemd, Krawatte und Sakko. Schließlich möchte er dem Anlass entsprechend angezogen sein. Um sich sicher zu fühlen, greift er aber lieber zu vertrauten Ritualen. Nachdem Georg Witte vom Peter-Szondi-Institut ihn vorgestellt hat („Wir haben ihn uns lange als Gast herbeigewünscht“), macht der Schriftsteller mit seiner kleinen Digitalkamera erst einmal zwei Fotos vom Auditorium und begrüßt dieses mit einem fröhlichen „Hallo Berlin!“

Der Witz ist alt, aber immer noch gut. Goetz hat ihn bereits bei seiner Frankfurter Poetik-Vorlesung Ende der neunziger Jahre gemacht, zu einer Zeit, als Schriftsteller sich gerade anschickten, mit dem Popstar-Image zu spielen oder gar als Popstars aufzutreten. Nur ist das hier kein Popkonzert, sondern eine DichterVorlesung. Der 1954 in München geborene Autor hat ihr den Titel „Leben und Schreiben. Der Existenzauftrag der Schrift“ gegeben. Kaum aber hat man sich gefragt, an wen dieser Auftrag eigentlich gerichtet ist (an die Schrift? an den Autor? an alle?), wird Rainald Goetz zumindest seinem FU-Auftrag sofort gerecht. Schon im zweiten seiner sich über zwölf Kapitel erstreckenden Rede spricht er davon, dass Schreiben immer Veröffentlichen bedeutet. Nur herrsche leider allzu oft eine „Distanz zwischen Aussage und Abschrift“: „Nichts, was da steht, ist das, was da stehen sollte.“ Für Goetz ist das die „Grunderfahrung der Schrift“. Und: „Wie selten etwas gelingt: Das ist die Essenz von Schrift.“

Im Folgenden trägt Goetz gut gelaunt und gar nicht so negativistisch eine Mischung aus Poetologie, Selbstauskunft und Zustandsbeschreibung gegenwärtiger Schriftkultur vor. Er erzählt, was das Schreiben, die Schrift, das Lesen ihm bedeuten und mit ihm machen. Was für ein Dämon in ihm schlummert („will allein sein und nie mehr schreiben“), dass bei ihm immer wieder ein „schriftinhärenter Isolationismus aufgesprengt“ werden müsse, dass er sich von Widersprüchlichkeiten nicht zerreißen lassen wolle.

Und er spricht darüber, wie er wurde, was er heute ist. Wie er als junger Autor in München ganze Listen von Adjektiven aus Theaterrezensionen der „Süddeutschen Zeitung“ extrahierte, von Autoren wie Joachim Kaiser, Benjamin Henrichs oder Peter von Becker. Wie er in leichte Theaterstücke geschickt wurde, um an der Reibung mit der Populärkultur „die Hochkultur begreifen zu lernen“. Und was ihm der anatomische Grundkurs während seines Medizinstudiums bedeutet hat, dass es die beste Grundlage für einen angehenden Schriftsteller sei, den Menschen zu studieren. „Das wichtigste Wissen der Welt ist die Kenntnis des Menschen,“ sagt Rainald Goetz.

Er erinnert sich an das kurze, heftige Aufflackern der Popliteratur („herrlich egoman, frühromantisch, schnell vorbei“) und wie er beim vom Elke Naters und Sven Lager eingerichteten Internetportal „Am Pool“ mitschrieb und erfuhr: „Das Gift heißt Show, der Text will angeben.“ Er kommt dann auf das Internet zu sprechen, auf die „heranflutende Totalinformation“ und die „Verbalität des Angebens vieler Journalistentexte“ gerade bei Facebook. Trotzdem will er das Netz nicht in Bausch und Bogen verdammen, sondern lieber als „weises Orakel“ befragen – und über das Gelesene in Ruhe nachdenken. Was für Erheiterung im Auditorium sorgt.

Überhaupt hält Goetz sich zurück, schimpft nicht übermäßig über Fehlentwicklungen in den Medien im Allgemeinen und den Feuilletons und der Literatur im Besonderen. Vielmehr scheint es ihm tatsächlich ein Anliegen zu sein, zu den Studenten direkt zu sprechen, zu möglicherweise angehenden Schriftstellern. Als Vorgriff auf das Seminar, das er dieses Semester an der FU als Gegenleistung für den Berliner Literaturpreis hält, schreibt er ihnen ins Vorlesungsbuch: „Alles, was Handwerk ist am Schreiben, ist komplett egal. Der schlechte Text ist nicht verbesserbar.“

Am Ende, beim zwölften Kapitel mit dem Titel „Heute gestern morgen“, ist er wieder ganz bei sich. Goetz deklamiert: „Alles, was man weiß, vergessen!“ Und alles, was er hier vorgetragen habe, sei in seinen früheren Schriften „festgehalten und niedergelegt“. Sein Schriftsteller-Ich ist ein stabiles, es unterscheidet sich nicht groß von dem der „Irre“- oder „Abfall für alle“-Zeit.

Als er noch ein paar Fragen aus dem Auditorium beantwortet und erklärt, dass „Beibringen“ das falsche Wort für sein Seminar und es vielmehr als „Aufmerksamkeitsübung“ gedacht sei, da verfestigt sich der schöne Eindruck, dass der Schriftsteller Rainald Goetz durchaus das Zeug zum Lehrmeister hat.

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