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1968: "Feindbild Springer" kann Verlag nicht von Fehlern freisprechen

"Drei Kugeln auf Rudi Dutschke, ein blutiges Attentat“, sang Wolf Biermann 1968, „wir haben genau gesehen, wer da geschossen hat.“ Und setzte hinzu: „Die Kugel Nummer eins kam aus Springers Zeitungswald, ihr habt dem Mann die Groschen auch noch dafür bezahlt.“

Seltsam, dass dieses Lied nicht vorkommt in einem Buch, das den Urheber des Feindbilds Springer zu kennen glaubt: Walter Ulbricht. Denn so wenig es Zweifel gibt, dass der Verleger Springer, für den die DDR nur in Anführungszeichen existierte, der liebste Feind Ulbrichts nach Adenauer und Strauß war, so wenig lässt sich das damals geprägte Feindbild Springer darauf reduzieren. Dass Wolf Biermann in Ulbrichts Auftrag gesungen hätte, hat auch das gründlichste Aktenstudium in der Birthler-Behörde nicht zutage fördern können.

Im Gegenteil: Auf die Bitte der West- Berliner Studenten, Biermann beim geplanten „Springer-Tribunal“ 1968 als Zeuge auftreten zu lassen, erinnerte sich die West-Abteilung beim Zentralkomitee der SED, dass der Sänger „in der Vergangenheit durch feindlich-provokatorische Veröffentlichungen in westdeutschen und Westberliner Publikationsorganen in Erscheinung getreten ist“. Tatsächlich erschien auch sein Dutschke-Springer- Lied beim West-Berliner Verlag Wagenbach; auf der B-Seite der kleinen Schallplatte sang Biermann ein Lied auf die DDR: „Von einem Land, das still ist, noch, und vom Frühling im roten Prag.“ Weder Dutschke noch Biermann ließen sich in die Fronten des Kalten Kriegs einreihen, auf denen Springer und die DDR ihre eigene Rechnung miteinander hatten.

Wie die aussah, rekonstruiert das Buch „Feindbild Springer“ in allen längst vergessenen Einzelheiten. Bei der Buchpremiere argwöhnten altachtundsechziger Diskussionsredner allerdings eine neue Springer-Kampagne, diesmal zur Rehabilitierung des Verlags und seiner Zeitungen. Der Verdacht liegt nahe, denn das Buch ist Ergebnis einer Kooperation der Axel Springer AG mit dem Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität. Der allerdings versichert, der Verlag habe „keinerlei Einfluss auf Inhalte und den Verlauf des Forschungsprojekts genommen“ und sein Unternehmensarchiv mitsamt einem Sonderbestand des Verlegers geöffnet. Desgleichen Marianne Birthler, die das Projekt vorgeschlagen und mit den Aktenbeständen ihrer Behörde unterstützt hat. Dass sich alle Beteiligten an die Vereinbarung gehalten haben, darf man nach der Lektüre des Buches durchaus glauben. Aber es erfüllt weder die Befürchtungen alter Achtundsechziger noch die Hoffnung ihrer alten Gegner im Springer-Verlag, die bundesweiten Springer-Proteste als Inszenierung der Staatssicherheit zu enthüllen.

Im Gegenteil: Ausgerechnet dort, wo der Springer-Verlag den Ursprung der Kampagne in West-Berlin vermutete, ist die Quelle denkbar trüb und wird auch durch die Erkenntnisse der Birthler-Behörde nicht klarer. In einem Rundschreiben an Geschäftspartner hatte der Verlag schon 1968 darauf hingewiesen, dass die Forderung „Enteignet Springer“ zum ersten Mal 1967 im „Berliner Extrablatt“ erhoben wurde, einer Anti-„Bild“-Zeitung der Außerparlamentarischen Opposition, die aus einem gescheiterten Zeitungsprojekt Rudolf Augsteins in West-Berlin hervorgegangen war. Verfasser des Aufrufs war der Zeitungskorrespondent und frühere SDS-Sekretär Walter Barthel, der nicht nur als Journalist gewusst haben dürfte, dass Walter Ulbricht schon 1966 gefordert hatte, „die Zeitungskonzerne wie den Springer-Verlag u.a. unter Kontrolle zu nehmen“. Er war nämlich als früherer DDR-Bürger noch immer und schon wieder Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Dass er das auch seinen Redaktionskollegen – darunter dem Rezensenten – verschwieg, versteht sich. Was er aber gleichfalls verschwieg: Er war zur gleichen Zeit als Mitarbeiter für den Verfassungsschutz der Bundesrepublik tätig.

Leider gehört diese Behörde nicht zu den Vertragspartnern des Forschungsverbunds SED-Staat, so dass wir wohl nie oder erst in Jahrzehnten erfahren werden, wer Barthel wirklich zu seiner Proklamation inspiriert hat. Die Plakette „Enteignet Springer“, die der Rezensent damals als sein Kollege entwarf und in Umlauf brachte, ist jedenfalls auf eigene Rechnung und Gefahr entstanden. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe dafür physische Prügel vom Berliner Volkszorn bezogen, mit der lautstarken Empfehlung, doch nach drüben zu gehen. Bei den Autoren des Forschungsverbunds muss ich mich bedanken, dass sie meine trotzdem erteilte Absage an Anwerbeversuche der Stasi dokumentiert haben. Damals musste ich mich mit rechtlichen Schritten gegen Springers Unterstellung zur Wehr setzen, Ulbrichts Geschäft zu betreiben.

Als hätte es für kritische Geister im Westen nicht Grund genug gegeben, Macht und Methoden der Springer- Presse infrage zu stellen. Durch ihren politischen Gebrauch hat Springer sein Feindbild weitgehend selbst produziert. War es im Westen der Republik die „Bild“, deren Meinungsmacht und Meinungsmache auch Bonner Politikern Angst und Bange machte, beherrschten die Berliner Blätter des Konzerns sogar 70 Prozent des dortigen Pressemarkts. 1968 erschienen dort fast täglich fette Schlagzeilen gegen „Dutschke und Konsorten“ als „Handlanger des kommunistischen Würgegriffs um Berlin“ („Berliner Morgenpost“). Mit Ausnahme des Tagesspiegel, der den Studenten eine eigene Kolumne einräumte, klangen selbst die Blätter der übrigen 30 Prozent noch wie eine freiwillige Springer-Presse.

Die Studie des Forschungsverbunds benennt zwar die kältesten Krieger in Springers Kampfpresse, zum Beispiel Werner Sikorski („Inspektor“ bei der „BZ“) und Rudolf Stiege („Berliner Morgenpost“), dessen demagogisches Vokabular das Berliner Feindbild Student geprägt hat. Aber warum nicht auch Springers Karikaturisten Hicks und Stenzel? Stenzel hat ihm sein optisches Outfit als Bürgerschreck mit Knüppel und Dreitagebart verpasst. Dass sein Kollege Hicks früher Juden mit krummer Nase gezeichnet hatte, mag nur eine Personalie sein. Aber sie koloriert das tiefe Braun, in dem die DDR das Feindbild Springer grundierte – nicht zuletzt auch dank der vielen NS-belasteteten Persönlichkeiten in Axel Springers Umfeld. Die Studie des Forschungsverbunds schwankt bei diesem Thema zwischen Beschönigung und Skepsis, wenn sie einräumt, „dass der Springer-Verlag wie viele andere deutsche Institutionen das nötige Fingerspitzengefühl vermissen ließ, wenn es um die Einstellung von Personen mit NS-Vergangenheit ging. Es fällt schwer, all dies für Zufall zu halten“. Hier, wo sie beginnen könnte, endet die Recherche des Forschungsverbunds. Vor dem Springer-Tribunal hätte das nur für einen Freispruch mangels Beweisen gereicht.

– J. Staadt, T.Voigt,

S. Wolle: Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner.

Vandenhoeck &

Ruprecht. Göttingen 2009. 328 Seiten,

19,90 Euro.

Hannes Schwenger

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