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Alex Capus: "Eine Frage der Zeit"

Werkzeug des Unglücks: "Eine Frage der Zeit“ erzählt vom Elend der Kolonialherrschaft in Ostafrika

Erst im Kontrast zu Alex Capus’ antiheldischem Roman „Eine Frage der Zeit“ geht einem so richtig auf, nach welchem Muster historische Romane üblicherweise gestrickt sind. Held oder Heldin werden auf Sinnsuche und ins Abenteuer geschickt; dieses wird, gegen die Wirren der jeweiligen Zeit, bestanden; geläutert und meist mit mehr Wohlstand und der Liebe ihres Lebens gesegnet, kehren Held oder Heldin nach Haus zurück oder brechen, noch häufiger, in eine neue, bessere Heimat auf. Die durch und durch heutige Sehnsucht nach Selbstverwirklichung, durchgespielt vor der Kulisse des Mittelalters oder 19. Jahrhunderts.

Bei dem Schweizer Schriftsteller Alex Capus, 1961 in der Normandie geboren, ist nun alles ganz anders. „Eine Frage der Zeit“ setzt im Jahr 1913 ein, als drei Schiffsbauer von der Nordsee an den Fuß des Kilimandscharos versetzt werden: Dort sollen sie ein Dampfschiff montieren, mit dem Kaiser Wilhelm II. die deutsche Vorherrschaft über den Tanganjikasee erringen will. Kolonialzeit und Erster Weltkrieg – es ist klar, dass vor diesem Hintergrund kein Heldenepos spielen kann, und wenn, dann müsste es eins der Aufmüpfigkeit und Sabotage sein.

Zwar nicht Sabotage, aber doch eine gewisse Aufmüpfigkeit kommen vor. Die Gedanken sind schließlich frei. Der Rest weniger. In der deutschen Kolonie in Ostafrika muss sich sogar der dortige Gouverneur eingestehen, dass er seine Kolonisatoren-Rolle nur auf Kosten von Moralität und Selbstachtung durchhalten kann: „Das ist das Einzige, was ich den Schwarzen wirklich übel nehme“, erklärt er mehr oder weniger öffentlich, „dass sie mich zwingen, Dinge zu tun, die ich selbst für böse halte, und dass ich als Mensch nicht die Wahl hab zwischen dem Guten und dem Bösen.“

In Konflikte kommen auch die Schiffsbauer Rüter, Tellmann und Wendt, von denen sich Letzterer als aufrechter Sozialdemokrat bei Beginn der Reise noch vorgenommen hat, er werde nicht zulassen, dass andere für ihn putzen und kochen. Das lässt sich natürlich auf Dauer nicht durchhalten, ebenso wenig wie der Vorsatz der drei, sich nicht am Krieg auf dem Tanganjikasee zu beteiligen. Sie wollen ja nur Schiffe bauen, keine Soldaten sein. Dann tuckert ihr Dampfer los. „Mit grimmiger Zufriedenheit stellte Rüter fest, dass er ein gutes Werkzeug in der Hand des Unglücks gewesen war. Die Wissmann würde das feindliche Ufer zweifellos ohne Zwischenfall erreichen; aus technischer Sicht gab es kein Hindernis mehr für das Blutbad, das ohne ihn nicht hätte stattfinden können.“

Man sieht, es handelt sich um einen durch und durch moralischen Roman; in seinem Fragen nach der Korrumpierbarkeit zu Kolonialzeiten Uwe Timms Roman „Morenga“ aus dem Jahr 1985 nicht unähnlich, der die Thematik allerdings mit sehr viel expliziterem philosophischem Aufwand bearbeitet hat – ein Vergleich, der keinen der beiden entwerten oder erheben soll.

Man ersieht an den wenigen zitierten Sätzen nämlich vielleicht auch, dass Capus’ Figuren dafür einen schönen Hang haben, vom Heroischen ins Groteske zu kippen; „mit grimmiger Zufriedenheit“ schauen sie sich dann selbst beim Stürzen zu, sehr komisch für den Leser, der bei aller Moral auch sehr gut unterhalten wird.

Denn ob er Ostafrikas Landschaften, die Kakophonien von Werft und Dschungel oder afrikanische und deutsche Figuren beschreibt, beweist sich Alex Capus immer als glänzender Stilist mit einem beeindruckenden Gefühl für Rhythmus und Anschaulichkeit. Es gibt offenbar nichts, was er nicht mit Eleganz und mit Humor porträtieren könnte, ob belebt oder unbelebt.

Hier allerdings setzt der einzige, paradox klingende Vorwurf ein, den man gegen dieses Buch erheben kann: Genau dieser gleichmäßig vorzügliche Stil steht in einem gewissen Widerspruch zum Scheitern der Schiffsbauer. In deren äußerer und moralischer Welt herrscht die Ohnmacht, in Capus’ Erzählweise die Perfektion. Und noch während Capus’ Erzählung dem europäischen Traum, der Mensch könne mithilfe seiner Urteils- und Willenskraft der eigenen Biografie den Stempel aufdrücken, ein Spottlied darzubringen sucht, jubelt seine Feder im Triumphgesang.

Alex Capus: Eine Frage der Zeit. Roman. Knaus Verlag, München 2007, 302 Seiten, 19,95 €.

Hilal Sezgin

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