zum Hauptinhalt

AUFGESCHLAGEN Zugeschlagen: Nerven wie Drahtseile

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die "Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch. Seine ARD-Sendung "Druckfrisch" macht Sommerpause bis zum 6. September.

10) Sebastian Fitzek: Splitter

(Droemer Verlag, 376 Seiten, 16,95 €)

Der dürftig recherchierte, aber aufdringlich servierte medizinische Hintergrund dieses deutschen Thrillers um einen als Streetworker in Berlin arbeitenden Juristen erinnert an jene Weihnachtskarten, deren Hässlichkeit der Zusatz „mundgemalt“ relativieren soll. Tumber als die grobschlächtige Handlung um Amnesie, Wahn und Wirklichkeit ist nur die Auflösung: Eine Lebertransplantation für ein ungeborenes Baby soll den ganzen Irrsinn motivieren. Diesen Roman kann man auch ganz ohne ärztliche Hilfe vergessen.


9) Simon Beckett: Leichenblässe
(Deutsch von Andree Hesse, 415 Seiten, 19,90 €)

Was Beckett über eine der vielen Leichen in diesem dritten Roman um seinen nach einem Mordversuch am Leben und der Liebe herumlaborierenden Helden David Hunter schreibt, trifft auf den Roman selbst zu: „Angeschwollen durch Gase, ähnelte der Torso einer zu voll gestopften Reisetasche, die aufgeplatzt war.“

8) Donna Leon: Das Mädchen seiner Träume (Deutsch von Christa E. Seibicke, Diogenes, 351 Seiten, 21,90 €)

Unter den mittlerweile 17 Fällen Brunettis gibt es durchschnittliche, gute und sehr gute. Dieser, in dem der Tod eines elfjährigen Roma-Mädchens den Krimiplot liefert, ist ein sehr guter, weil gleich zu Beginn Brunettis Mutter stirbt und den Kommissar zwingt, philosophisch Farbe zu bekennen. „Kennen wir irgendwelche religiösen Leute?“, fragt Brunetti seine Frau Paola, die süffisant erwidert: „Von Berufs wegen oder Gläubige?“

7) J. K. Rowling: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (Deutsch von Klaus Fritz, Carlsen Verlag, 740 Seiten, 28 €)

Auch wenn der Zauberlehrling ein würdigeres Finale verdient hätte als diesen durch englischen Regen aufgeschwemmten Abschlussband: Rowlings mit vielen liebevollen Details ausgedachte Saga um Harry Potter hat im 21. Jahrhundert den Triumph der Fantasy eingeläutet, indem sie die Fantasie einer tatsächlich globalen Leserschaft entzündete.

6) Moritz Netenjakob: Macho Man (Kiepenheuer & Witsch, 284 Seiten, 13,95 €)

Nettenjakobs deutsch-türkische Liebesgeschichte um Daniel und Aylin ist eine Unterhaltungsklamotte mit politisch korrekter Aussage. Aber wer so schlecht schreibt, kann unmöglich recht haben: „Wir schauen uns an. Wir sind beide gerührt. Es ist völlig egal, wo wir sind – wir lieben uns! Unsere Lippen nähern sich vorsichtig und wir küssen uns zärtlich.“

5) William Paul Young: Die Hütte (Deutsch von Thomas Görden, Allegria Verlag, 301 Seiten, 16,90 €)

Auf Seite 293 schreibt der Autor dieses Esoterik-Schmarrens: „Am Jahresanfang 2005 hörte ich, wie Gott in meinem Herzen flüsterte: ‚Paul, in diesem Jahr wirst du fünfzig. Dies ist eine Zeit der Heilung und Aussöhnung.‘“ Ich glaube, William Paul Young hat sich verhört. Die Stimme am Jahresanfang 2005 gehörte seinem Steuerberater und hat gesagt: „Paul, in diesem Jahr wirst du fünfzig. Dies ist eine Zeit, dich mittels eines saftigen Esoterik-Schmarren gesundzustoßen und dich mit deinem Konto auszusöhnen.“

4) Sarah Kuttner: Mängelexemplar (S. Fischer, 272 Seiten, 14,95 €)

Wer auf Seite 113 schreibt: „Die ganzen Gefühle, mit denen ich plötzlich meinen Körper teilen muss, nerven wie Drahtseile. Sie kommen sich ständig in die Quere“, sollte auf Seite 120 nicht schreiben: „Metaphern helfen mir, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen.“ In diesem Roman bilden die Metaphern das Chaos nur ab.


3) Dora Heldt: Tante Inge haut ab
(Deutscher Taschenbuch Verlag, 339 S., 13,30 €)

Auch wenn ich diesem Roman über Beziehungskrisen und Selbstfindungsprobleme älterer Semester auf Sylt eine gewisse blutdrucksenkende Gemütlichkeit nicht absprechen will, konnte mich die Autorin nur an einer Stelle hellauf begeistern, nämlich als sie ihre Titelfigur Tante Inge sagen lässt: „Unser Leben kann doch so nicht weitergehen. Irgendwann fallen wir vor Langeweile um.“ Leider geht der Roman dann noch gut 250 Seiten weiter.

2) Stephenie Meyer: Bis(s) zum Ende der Nacht (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen Verlag, 788 Seiten, 19,90 €)

An welcher Stelle genau diese öde Ode auf das Glück der blutsaugenden Kleinfamilie in ein dogmatisches Manifest sozialer Konditionierung umkippt, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls lange vor dem Happy End, das in Meyers Worten so klingt: „Meine Familie war vereint. Vor meiner Tochter lag eine endlose wundervolle Zukunft. Morgen würde ich meinen Vater besuchen, er würde sehen, dass in meinem Blick jetzt keine Angst mehr lag, sondern Glück, und das würde auch ihn glücklich machen.“ Glaubhafter erscheint mir der Stoßzeufzer der Autorin, den sie auf den letzten Seiten ihrer Erzählerin in den Mund legt: „Ich war es leid, eine Deadline vor Augen zu haben, und ich wollte mir einfach Zeit lassen.“


1) Stephenie Meyer: Bis(s) zum Abendrot
(Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen Verlag, 557 Seiten, 19,90 €)

Wer einen ganzen Roman im Wesentlichen mit dem heißen Flehen eines amerikanischen Teens um Entjungferung füllen muss, landet bei Sätzen wie: „Ich heirate dich. Du darfst für Dartmouth bezahlen, und ich sage nichts zu dem Bestechungsgeld, das du für meinen Studienplatz gezahlt hast. Du kannst mir sogar einen schnellen Wagen kaufen, wenn es dich glücklich macht. Nur ... bitte.“ Ansonsten ist die aktivste Handlung, die Meyer ihrer Heldin Bella Swan in dieser endlosen Exposition zum großen Vampir-Showdown gestattet, zu erröten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false