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AUFGESCHLAGEN Zugeschlagen: Wetzstahl für die Seele

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch - parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. 10) Daniel Kehlmann: Ruhm (Rowohlt, 203 Seiten, 18,90 € )In neun elegant konstruierten, raffiniert miteinander verwobenen Geschichten erzählt Kehlmann von den Folgen neuer Kommunikationsmittel wie Email oder Handy, vom Irrsinn des Starkults, dem Wahn der ständigen Erreichbarkeit und den frivolen Allmachtsphantasien der Blogosphäre.

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch - parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“.

10) Daniel Kehlmann: Ruhm (Rowohlt, 203 Seiten, 18,90 € )

In neun elegant konstruierten, raffiniert miteinander verwobenen Geschichten erzählt Kehlmann von den Folgen neuer Kommunikationsmittel wie Email oder Handy, vom Irrsinn des Starkults, dem Wahn der ständigen Erreichbarkeit und den frivolen Allmachtsphantasien der Blogosphäre. Meine Lieblingsgeschichte handelt von einem an den Brasilianer Paolo Coelho erinnernden Schundautor, der Schluss mit dem Lügen und ganz unvermittelt Ernst mit der Philosophie macht. Ein schöner Traum, ein gutes Buch.

9) Fred Vargas: Der verbotene Ort (Deutsch von Waltraud Schwarze, Aufbau Verlag, 423 Seiten, 19,95 €)

Manchmal kommen die aufregendsten Sensationen im gewöhnlichsten Gewand daher. Dieses Buch beginnt mit einem surrealen Bild: 17 Schuhe mit 17 abgetrennten Füßen stehen vor einem Friedhof in London. Die Suche nach des Rätsels Lösung führt nach Serbien in ein Dorf der Untoten. Außergewöhnlich intelligent und unterhaltsam waren die Krimis der diskreten französischen Autorin Fred Vargas um ihren Kommissar Adamsberg schon immer. Diesmal aber ist Vargas ein Buch von solch psychologischer Raffinesse gelungen, dass es wie ein Wetzstahl für die Seele wirkt.


8) Moritz Netenjakob: Macho Man (Kiepenheuer & Witsch, 284 Seiten, 13,95 €)

„Türkische Männer schämen sich weder für ihr bestes Stück noch für ihr Vaterland“, lässt Moritz Netenjakob seinen Helden Daniel denken, er selber aber sei: „Ein Deutscher mit Penis – die historische Arschkarte“. Das Deprimierende an diesem mit vielen Gags aufgebrezelten Unterhaltungsroman über kulturelle Differenzen zwischen Deutschen und Türken sind nicht seine nervigen Längen oder seine comedyhafter Schrillheit; das Deprimierende erwächst aus der intellektuellen Selbstkastration des Autors.

7) Simon Beckett: Leichenblässe (Wunderlich, Deutsch von Andree Hesse, 415 Seiten, 19,90 €)

Dieser dritte Roman um den Forensiker David Hunter ist ein routiniert heruntergeschriebener Serienkiller-Thriller, von dessen grausam alberner Handlungsführung der Autor mit einer Extraportion Toten ablenken will. Schwer zu entscheiden, was ekliger ist: die Instrumentalisierung der verwesenden Leichen oder das Selbstmitleid des Helden.

6) Markus Heitz: Die Legenden der Albae (Piper, 585 Seiten, 15 €)

Fantasy made in Germany. Allerdings erschöpft sich die Fantasie dieses für Rhythmus und Melodik des Deutschen stocktauben Autors im Ausdenken verkrampft exotischer Namen für Reiche, Völker und Helden. So torkeln zwar Gestalten namens Sinthoras und Caphalor durch diesen Roman, aber sie denken, fühlen und reden allesamt genau wie Wilma Hutschenreuther aus Schwieberdingen,

5) Tess Gerritsen: Grabkammer (LimesVerlag, Deutsch von Andreas Jäger, 415 Seiten, 19,95 €)

Nähert sich die Lebenserwartung eines Unterhaltungsgenres ihrem Ende, setzt meist ein demenzbedingter Hang zur Hybridisierung ein. Auch der schon arg in die Jahre gekommene Leichenporno macht da keine Ausnahme. Schön lässt sich dies am siebten Roman der amerikanischen Ärztin Tess Gerritsen um ihr Ermittlerpaar Dr. Maura Isles und Jane Rizzoli zeigen: Der Ausflug der beiden zu den Mumien des alten Ägypten und dem verlorenen Heer des Perserkönigs Kambyses des Zweiten liest sich wie die literaturgewordene Entsprechung von „Godzilla meets King Kong“.

4) Sarah Kuttner: Mängelexemplar (S. Fischer, 272 Seiten, 14,95 €)

Auf Seite 126 dieses Romans steht der Satz: „Ich will keinen ,Freche Mädchen’-Schund mehr lesen.“ Genau.


3) Dora Heldt: Tante Inge haut ab (Deutscher Taschenbuch-Verlag, 339 Seiten, 12,90 €)

Während Sarah Kuttner in forciertem Jugendslang daherplappert, ist der Erzählton von Dora Heldts jüngstem Sylt-Roman mehr als bieder, nämlich bräsig. Wer bei Dora Heldt betrunken ist, ist „voll wie eine Strandhaubitze“. Besaß der Vorgängerroman „Urlaub mit Pappa“ noch einen gewissen Retro-Reiz, strahlt diese Fortsetzung den Charme einer Packung Mottenkugeln aus.

2) Stephenie Meyer: Bis(s) zum Abendrot (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen, 557 Seiten, 19,90 €)

Das Problem dieses dritten der vier Romane um Bella Swan ist, dass in dieser unendlich in die Länge gezogenen Exposition zum großen Finale einfach nichts passieren darf. Also sinnt die Heldin darüber nach, ob sie sich nun eher zu Vampir Edward oder Werwolf Jakob hingezogen fühlt: eine Wahl, so schwer wie die zwischen Himbeereis und Bauchweh. Bleibt für Meyer also nur, die gut 500 Seiten mit Sätzen zu füllen wie: „Vor Schreck entglitten mir die Gesichtszüge.“

1) Stephenie Meyer: Bis(s) zum Ende der Nacht (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen, 788 Seiten, 19,90 €)

Eigentlich ist nichts dagegen einzuwenden, die Welt gelegentlich durch eine rosarote Brille zu sehen. So wie etwa Bella Swan, die in Meyers Blutsauger-Saga endlich ihren Edward heiraten und sich von ihm schwängern lassen darf. Aber gegen Sätze wie „Er hatte die schönste Seele der Welt, sie war noch schöner als sein funkelnder Verstand, sein unvergleichliches Gesicht, sein göttlicher Körper“ – da helfen nicht mal Knoblauch, Kruzifix oder Kugeln aus Silber.

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