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Doris Lessing

© dpa

Auszeichnung: Doris Lessing erhält Nobelpreis für Literatur

Das hatten die Kenner der Szene nicht erwartet: Die englische Autorin Doris Lessing wird in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt.

Die Schwedische Akademie erkannte der 87 Jahre alten Engländerin in Stockholm den begehrtesten Literaturpreis der Welt zu. Lessing sei, so die Akademie wörtlich, "die Epikerin weiblicher Erfahrung, die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen hat". Doris Lessing wurde vor allem durch ihren Roman "Das goldene Notizbuch" in den siebziger Jahren populär, der als Klassiker des Feminismus gilt.

Die Autorin gehörte seit Jahrzehnten zum Kreis der Nobel-Anwärterinnen. Sie war aber zuletzt bei den Spekulationen eher aus dem Blickfeld geraten. Akademie-Sekretär Horace Engdahl meinte bei der Bekanntgabe: "Dies ist eine der am besten durchdachten Entscheidungen, die wir jemals getroffen haben." Manche müssten eben etwas mehr reifen als andere. Er fügte lächelnd hinzu: "Und wir haben alle komplett überrumpelt." Lessings Werk ist durchaus autobiografisch und gesellschaftskritisch geprägt, manche Arbeiten tragen aber auch Elemente von Fantasy und Science-Fiction. Ihr jüngst erschienener Roman "Die Kluft" spielt in einer nur von Frauen bevölkerten Ur-Welt, in die mit den ersten Männern auch die Probleme einziehen.

Die elfte Frau, die den Literaturnobelpreis bekommt

Lessing sagte zu der Geschichte auf einer Lesung in Hamburg: "Mein idealer Leser würde den Roman als Spielerei betrachten und sich der Geschlechter mit Humor annehmen." Nach der Österreicherin Elfriede Jelinek 2004 ist Lessing die elfte Frau, die den Literaturnobelpreis bekommt. Seit der ersten Vergabe 1901 stehen dem 93 männliche Autoren als Preisträger gegenüber. Im vergangenen Jahr erhielt der türkische Autor Orhan Pamuk den Nobelpreis. Er ist mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro dotiert und wird am 10. Dezember vom schwedischen König Carl XVI. Gustaf überreicht.

Letzter Preisträger aus Großbritannien war erst 2005 der Dramatiker Harold Pinter. Auf der Frankfurter Buchmesse sagte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, die Vergabe an Lessing sei "großartig". Er meinte weiter: "Ein solcher Preis hat ja nicht nur einen Entdeckungssinn, sondern auch einen Wiederentdeckungssinn." Günter Berg, Leiter des Hoffmann und Campe Verlages, zeigte sich auf der Buchmesse begeistert über den Erfolg seiner Autorin. Sie habe sich nie von Moden beeinflussen und trotz inhaltlicher Nähe auch nie vom Feminismus in Beschlag nehmen lassen. "Sie hat immer ihr Ding gemacht." Auch persönlich sei die 87-Jährige beeindruckend: "Ihre Dynamik, Wachheit und Klarheit sind bewundernswert."

Gregor Gysi freut sich für seine Tante

In der Fraktion der Linken im Bundestag floss der Sekt, als die Nachricht über die Zuerkennung des Literaturnobelpreises an Doris Lessing eintraf - sie ist die Tante des Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi. "Ich bin stolz auf meine Tante und freue mich wahnsinnig, dass sie die höchste Literaturauszeichnung der Welt erhalten hat", sagte Gysi vor Journalisten im Reichstagsgebäude. "Eine Tante als Nobelpreisträgerin - mehr geht nicht, höchstens wenn man ihn selber bekommt, aber wofür?", meinte der Politiker der Linken lachend. Sie sei eine von elf Frauen in 100 Jahren, die diesen Preis erhalten habe, "und sie hat ihn in jeder Hinsicht verdient".

Gysi hat seine Tante in der Vergangenheit mehrfach getroffen, sowohl in England als auch in Deutschland, zuletzt in der vergangenen Woche in Hamburg. "Dabei haben wir auch über die Chancen für einen Nobelpreis gesprochen, und sie erläuterte mir ausführlich, warum es nicht dazu kommen wird, und ich hielt dagegen." Gysi hat bisher vergeblich versucht, seine Tante telefonisch zu erreichen, weil ständig besetzt war, so dass er ihr seine Glückwünsche schriftlich übermittelt hat. Er habe bisher jedes Buch von ihr gelesen, "zuerst aus Verpflichtung, und dann machte es immer mehr Spaß, auch ihre Veränderungen mitzuerleben".

Als Anekdote erzählte Gysi, dass seine Tante in den Zeiten der Nachrüstungsdebatte Anfang der 80er Jahre in Deutschland angerufen und ihm eine Übersiedlung nach Großbritannien empfohlen habe, da es in Deutschland doch für ihn zu gefährlich werde. In der DDR sind laut Gysi die ersten Bücher von Doris Lessing im Verlag Volk und Welt noch erschienen. Was später dann eingestellt wurde, "als sie nach Auffassung der Kulturbehörden zu mystisch wurde". Doris Lessing ist eine angeheiratete Tante von Gysi. Sie war in zweiter Ehe (1944 bis 1949) mit dem deutschen Emigranten Gottfried Anton Nicolai Lessing verheiratet, einem Bruder von Gysis Mutter Irene.

Reich-Ranicki ist dagegen

Einer der sich über die heutige Nachricht nicht freuen wollte, war hingegen der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Er fand die Nobelpreis-Entscheidung für Doris Lessing enttäuschend. "Ich finde sie bedauerlich", sagte der 87-Jährige. Er sei der Ansicht, dass die angelsächsische Welt, "viele, jedenfalls mehrere bedeutendere, wichtigere Schriftsteller hat". Er habe erneut erwartet, dass Philip Roth oder John Updike ausgezeichnet werden. Lessing hatte in den Spekulationen um den diesjährigen Preis überhaupt keine Rolle gespielt. Als Favoriten galten vor allem der US-Romancier Philip Roth (74) und der südkoreanische Lyriker Ko Un (74). (mit dpa)

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