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Autor Patrick Findeis: Auf allen Umwegen aus der Provinz

Patrick Findeis schreibt in "Kein schöner Land" über Tod und Enge auf dem Dorf. Lieber lebt er in Berlin.

Manchmal spricht Patrick Findeis plötzlich so leise, dass man ihn nicht mehr versteht, als drehe jemand am Lautstärkeregler. Seine Stimme verliert sich in den Hintergrundgeräuschen. Vor allem, wenn so viel los ist wie an jenem hellgrauen Juninachmittag auf dem Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg – beim jährlichen Literaturfest. Patrick Findeis, Absolvent des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, hat mit 33 gerade seinen ersten Roman „Kein schöner Land“ veröffentlicht und geht mit kurzen stockenden Schritten zwischen all diesen Menschen hindurch, die etwas mit Büchern zu tun haben – Buchhändler, Leser, andere Schriftsteller, Verlagsangestellte. Sein Debüt ist zwar nirgendwo zu sehen – sein Verlag, die DVA, aus München ist nicht nach Prenzlauer Berg gekommen. Trotzdem müsste das hier Findeis’ Welt sein. Hier, wo sich alles um Wörter, Sätze, Sprache dreht.

Der schmale, schlaksige Mann zieht unsicher die Schultern hoch und guckt etwas verlegen auf das Treiben. Er gehört nicht dazu. „Ich bin gar nicht so in diesem Literaturbetrieb drin“, sagt er freundlich. Dabei lässt sein Lebenslauf anderes vermuten: Mehrere Stipendien kommen darin vor, das Studium in Leipzig und natürlich der Preis – schon vor einem Jahr bekam er den mit 7500 Euro dotierten 3sat-Preis in Klagenfurt für einen Auszug aus dem damals noch unveröffentlichten Roman. Am Donnerstag wird er zum ersten Mal aus dem fertigen Text lesen.

Ein Literatur-Wettbewerb gehört auch zum Programm des Festes in Prenzlauer Berg. In einem Zelt sitzt ein junger Mann auf der Bühne, sieht nicht so aus, als fühle er sich da oben wohl und liest aus einer unveröffentlichten Geschichte. Findeis steht hinten und hört konzentriert zu.

„Als ich in Klagenfurt gelesen habe, war es ja immerhin nicht das allererste Mal wie bei ihm“, sagt er. Aber auch Findeis wirkte damals nicht gerade wie jemand, der so etwas jeden Tag macht. Auf der 3sat-Internetseite ist ein Video davon zu sehen: Findeis im Sitzen hinter einem kleinen Pult – steifer Oberkörper, Schultern hochgezogen, den Blick fest aufs Manuskript gerichtet. Beim Lesen bewegt er den Oberkörper immer wieder vor und zurück, wie jemand, der in Trance ein Mantra aufsagt. Er liest ernst, monoton, eindringlich – was zur Ausweglosigkeit und Düsternis der Geschichte passt über den alten Bauern Späth aus dem Dorf Rottensol in Schwaben. „Dann wischte er sich die Finger ab an der Hose und griff die Prothese aus dem Mund. Den Essensrest leckte er mit der Zungenspitze aus dem Zahnzwischenraum. Und zwischen den Schneidezähnen lutschte er etwas heraus. Geschmack hatte es keinen mehr.“

So nah wolle er an seine Charaktere heran, als gebe es einen Ich-Erzähler. Und doch bleibt er immer in der Distanz des Beobachters – er erzählt von außen. Auf diese Weise lässt er den Mikrokosmos des Dorfes Rottensol erstehen. Da sind Alte, wie Bauer Späth, die es niemals aus der dörflichen Enge herausgeschafft haben. Und die Jungen, die versucht haben, auszubrechen – aber scheitern und zurückkehren. Dieser von der Fremdenlegion in Spanien, jener vom Studium und Volontariat in Köln und wieder einer von der Walz als fahrender Zimmermann in Frankreich. Der einzige Ausweg ist der Tod – ob durch Krankheit oder Drogen. „Die Bänder, an denen die Menschen in solchen Dörfern hängen, sind straff gezogen. Eine Flucht ist schwierig“, sagt Findeis. Es passierten da aber auch Dinge, die seien „wie am Bahnhof Zoo“.

Rottensol ist ein fiktiver Ort, Vorbild waren Dörfer, in der Nähe von Findeis'' Heimatort Heidenheim. „Ich kenne Leute, die dort geblieben sind und ein freies und selbstbestimmte Leben führen“, sagt Findeis. Aber er selbst hätte es sich „nie verziehen, wenn ich nicht wenigstens versucht hätte, einen anderen Weg als den vorgefertigten zu gehen – Ausbildung, Heirat, zwei Kinder.“

Ihn zog es in die Stadt. Der Weg zum Schriftsteller war bei ihm nicht vorgezeichnet. Schon deshalb, weil er Hauptschüler war. „Ich dachte immer, um Autor werden zu können, braucht man Abitur und Studium“, sagt er und lächelt über sich selbst. Und so begann er erst mit 24 Jahren mit dem Schreiben. Da hatte er längst eine Ausbildung zum Zahntechniker gemacht, sich den schwäbischen Akzent abtrainiert und holte das Abitur nach – und das Lesen. Eine Zeit lang schleppte er taschenweise Mängelexemplare aus den Buchhandlungen nach Hause. Am Literaturinstitut wurde er im zweiten Anlauf angenommen. „Ich habe eben ein paar Umwege gemacht.“

Er sei aber nicht der „Typ, der es von ganz unten geschafft habe“ – ein Image wie es dem Erfolgsautor Clemens Meyer anhaftet, dem Bauarbeiter, Wachmann, Möbelpacker und Gabelstaplerfahrer, der ebenfalls am Literaturinstitut Leipzig studierte, passe nicht zu ihm, sagt Findeis. Findeis kennt Meyer ganz gut, er hat einmal ein Porträt für ein Leipziger Stadtmagazin über ihn geschrieben und seitdem treffen sie sich ab und zu auf ein Bier. Und manche finden, dass sich ihre Texte ähneln. Beide seien archaisch in Sprache und Thematik, heißt es.

Auf dem Literaturfest stürzt eine Frau in flatterndem Lila, mit tiefem Dekolleté und üppiger Oberweite auf ihn los und umarmt seinen knochigen Körper. Findeis steht plötzlich noch steifer da. Er lächelt schmal, bis die Frau wieder verschwunden ist, die er bei einem Stipendiatenaufenthalt im Münsterland kennengelernt hat. Findeis wohnt und arbeitet in Kreuzberg, in der Nähe des Mariannenplatzes. Er schreibt diszipliniert, vier Stunden vormittags und nachmittags auch – wenn er nicht gerade auf der Suche nach einem guten Gedanken auf die Hauswand gegenüber starrt. Bis seine Figuren wieder beginnen, an Zahnprothesen zu pulen.

Patrick Findeis liest am Donnerstag um 20 Uhr im Literarischen Salon der Allianz, An den Treptowers 1, Treptow.

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