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© ddp

Axolotl Roadkill: Rufschädigend ist das!

Berliner Schüler diskutieren Helene Hegemanns Bestseller „Axolotl Roadkill“. Unser Autor David Ensikat hat gut zugehört.

Von David Ensikat

Montag, 15. März im Raum 314 des Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasiums in Berlin Prenzlauer Berg. Der Deutsch-Leistungskurs, 13. Klasse, behandelt Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“.

Lehrer, 45, weiter blauer Pullover: Martha, du hast das Buch gelesen. Erzähl uns davon.

Martha, lange aschblonde Haare, blau gestreifter, zu großer Pullover: Ehrlich gesagt, hab inzwischen gar keine Lust mehr, über das Buch zu reden, weil es mir echt auf die Nerven geht. Aber was soll’s. Die Autorin Helene Hegemann ist so alt wie wir und total erfolgreich. Sie war in jeder Fernsehshow und in jeder Zeitung. Ich hab sie auf Youtube gesehen bei – ähm, wie hieß der – bei Harald Schmidt. Sonderbare Sendung. Es gibt jedenfalls den totalen Hype um die, und ich frag mich, ob das am Buch liegt oder an ihrem Alter oder am Thema. Ich hab jedenfalls keinen roten Faden gefunden, keinen Spannungsbogen, nichts, worauf das hinausläuft. Man merkt irgendwie, dass man es mit einer schwer pubertierenden Person zu tun hat. Ich hab Kopien gemacht von einem Stück aus dem Buch. Das können wir ja mal lesen.

Sie lesen in verteilten Rollen eine Szene: „Wie bei jeder drogenabhängigen Minderjährigen mit Reflexionsvermögen äußert sich mein Hang zur Realitätsflucht in einer ausgeprägten Lesesucht. Ich verschlinge gleichermaßen aufgeklärte Belletristik über pakistanische Psychoanalytiker und Diplomarbeiten über den Zusammenhang von Moby Dick und dem Nationalsozialismus. Tageslicht gilt es mit einer lässigen Geste abzuwinken.“

Martha: Und enden tut das Buch mit einem komischen Brief. Ich les mal was daraus vor. Es geht um Abschaum, Krätze und Verachtung. Na ja, der Brief, also den hat, wie man jetzt weiß, leider gar nicht die Hegemann geschrieben. Das ist ein Song von der Band „Archive“, den sie einfach übersetzt hat. Keine Ahnung, was das soll.

Anton, kurze Haare, weißes T-Shirt: Ist das vielleicht eine selbstkritische Reflexion? So wie Hamlet mit dem Schädel, nur bedeutend schlechter?

Lehrer: Oh, wie assoziationsmächtig!

Lukas mit schwarzem T-Shirt und Rastazöpfen: Vielleicht ist auch alles Verarsche. Da denkt sich die Autorin: Ich weiß, dass mein Buch Scheiße ist …

Lehrer: Wir müssen ja nicht gleich die Sprache der Autorin übernehmen …

Lukas: Ja, okay, also die weiß, dass sie Mist geschrieben hat, und denkt sich: Hi hi, ihr kauft’s ja trotzdem.

Anton: Ich trau dieser Autorin gar nicht zu, das Buch bewusst so schlecht geschrieben zu haben. Bei Harald Schmidt jedenfalls hatte die so eine kindische Abwehrhaltung. Die kann das ja gar nicht ernsthaft verteidigen, weil’s so schlecht ist. Also für mich jedenfalls.

Lehrer: Aber du hast’s nicht gelesen.

Anton: Nee, aber ein Freund von mir, der hat’s gelesen, und was der so unsympathisch fand, waren diese angeblichen Tabubrüche. Die sind so berechnet, dass sie letztlich nur anbiedernd sind, sagt er.

Veronika, geschminkte Augen, rosa Federtasche: Vielleicht arbeitet die ja was auf. Manchmal hat man doch so einen lichtblickigen Moment, wo man die eigene Geschichte einfach aufschreiben muss.

Anton: Aber so unauthentisch! Dass die das nicht erlebt haben kann, ist doch klar.

Lukas: Aber mir kommt es auch so vor, als ob alle jetzt eifersüchtig wären. Weil die die Erste ist, mit so einem coolen Berlin-Buch. Für den Hype kann die ja nichts. Ich jedenfalls bin auf alle Fälle ziemlich neidisch. Ich hätte auch gern so was geschrieben, was dann alle lesen. So geht’s bestimmt vielen jungen Leuten.

Lehrer: Aber warum schreiben und reden vor allem die Älteren so viel darüber?

Lukas: Weil die denken, wow, so sind unsere Kids! Die halten das für ein Buch über die Jugendlichen von heute.

Anton: Rufschädigend ist das!

Veronika, kichernd: Ja, so stellen die sich die Jugendlichen vor.

Martha: Die Hauptfigur besitzt keine Leidenschaft mehr. Die hat alles Kindliche oder Jugendliche abgelegt. Vielleicht ist es ja deshalb so langweilig. Es geht immer nur um die Sinnlosigkeit von allem. Wofür lebt diese Mifti eigentlich? Man liest das mit einem totalen Widerwillen.

Anton: Es klingt auch alles so blöd. Das ist doch keine Sprache!

Martha: Sie pumpt die Sätze mit lauter Fremdwörtern auf und will damit wohl ihre Überlegenheit zeigen. Ich glaub aber nicht, dass eine Übersetzung irgendeinen Sinn ergeben würde. Und dann diese komische Jugendsprache. Ich hab jedenfalls nie einen gehört, der ernsthaft so sprechen würde. Außer vielleicht als Verarschung.

Lukas: Meint die unsere Generation? Wenn man das mal wüsste.

Lehrer: Der Text muss sich aber schon selbst erschließen.

Georg, die Haare zum Zopf gebunden: Offensichtlich verdeutlicht der Text seine Intention nicht.

Martha: Ich les mal noch so ein ganz krasses Stück vor, das nur eklig ist, und man weiß nicht, wozu. Es geht um ein Baby, das aus dem dritten Stock geworfen werden soll, und eine Ratte, die sich durch Körper frisst. Was will die damit?

Anton: Die bricht so viele Tabus wie möglich. Das ist, als ob du Essen machst, und da kommt ein Brei raus, der scheiße schmeckt, und in den tust du dann tonnenweise Salz, damit das keiner merkt. Aber es scheint zu funktionieren. Das zeigt das Pharisäertum der Lesergemeinschaft.

Lehrer: Martha, vielen Dank jedenfalls, dass du dich durch das Buch durchgequält hast …

Martha: Na ja, da waren auch Stellen, die gut waren. Oder jedenfalls so, dass man darüber weiter nachdenken möchte.

Lehrer: Was denn zum Beispiel?

Martha: Wenn es um dieses Gefühl geht, alles mitzunehmen, nichts zu verpassen. Und dann landet man in dieser Partywelt, die so viel verspricht, aber am Ende nur hohl ist. Und dann auch so was hier. Sie liest ein Stück, in dem es heißt: „Ich hab ein Problem mit Sex, weil Sex der bedingungslosen Liebe entgegenwirkt, die ich will und nichts anderes ist als ein egoistischer, tierischer Trieb, der die Menschen, die ich liebe, als fremdgesteuerte Reflexbündel entlarvt.“ Das sind schon Gedanken, die sich jeder Jugendliche macht.

Lukas: Aber neu sind die nicht.

Lehrer: Das ist kein Kriterium. Sonst hätte man vor 2000 Jahren aufhören können, Literatur zu schreiben. Es geht doch immer darum, das Ewiggleiche in neue, zeitgemäße Zusammenhänge zu bringen.

Lukas: Aber wenn sie’s so schlecht macht! Aber, wie gesagt, ich bin ja nur neidisch. Und das Dumme ist: Jetzt geht der Jugendhype so richtig los, jetzt schreiben die 14-Jährigen die Schocker, und wir sind längst zu alt dafür.

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