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Bachmann-Preis: Endlich ein Favorit

Das Schöne am Klagenfurter Wettbewerb ist, dass sich nach eher mauen Vorstellungen und manchmal gänzlich schlimmen Lesetagen doch immer wieder Autoren und Autorinnen mit Texten finden, die die Jury in Begeisterung ausbrechen lassen oder wenigstens preiswürdig sind.

Das Schöne am Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ist, dass sich nach eher mauen Vorstellungen und manchmal gänzlich schlimmen Lesetagen doch immer wieder Autoren und Autorinnen mit Texten finden, die die Jury in Begeisterung ausbrechen lassen oder wenigstens preiswürdig sind. Auch in diesem Jahr, da der Wettbewerb zum 33. Mal ausgetragen wird, könnte man gut gewissermaßen Herzfrequenzmessungen durchführen oder eine Art Stimmungskurve erstellen. Dann würde man feststellen, dass die Herzschläge pro Minute bei Jury und Publikum sich auf einmal in einem höherfrequenten Bereich befinden, natürlich immer in einem der Gesundheit zuträglichen, dass die Stimmungsspitzen nach oben auf einmal mehr und höher geworden sind.

War heuer der Donnerstag mit seinen ersten fünf Lesungen ein durchwachsener Tag, ohne wirklich schlechte Texte, aber auch nur mit zwei, dreien, die höchstens für einen der anderen Preise neben dem Ingeborg-Bachmann-Preis in Frage kommen (3-Sat-Preis, Kelag-Preis, Ernst-Willner-Preis), so gibt es nach dem zweiten Lesetag doch mögliche Siegertexte, nämlich die von Jens Petersen, Andreas Schäfer und Ralf Bönt, zeigt sich die jüngere deutschsprachige Literatur überhaupt wieder in einer viel besseren Gesamtverfassung (so man allein den Klagenfurter Wettbewerb zum Maßstab nimmt).

Als erster Favorit auf den Bachmannpreis vor den am Samstag noch ausstehenden vier Lesungen erscheint der 33-jährige Hamburger Arzt und Schriftsteller Jens Petersen, der in seinem Romanauszug „Bis dass der Tod“ die berührende, beklommen machende Geschichte eines Paares erzählt, in der der Mann seine totkranke, nicht einmal mehr zu Worten fähige Frau erst pflegt und sie schließlich erschießt, ohne am Ende den von ihm gleichfalls geplanten Suizid hinzubekommen. Petersen erzählt seine Geschichte im Präsens, was in diesem Fall wirklich einmal die von vielen Autoren angestrebte Sogwirkung entfaltet, er legt überall die Spuren des Todes aus, segelt manchmal bewusst an der Grenze zum Kitsch, und buchstabiert dabei Themen wie Euthanasie und den Umgang mit Krankheit und Tod in der engsten menschlichen Umgebung durch. Auch die Jury zeigt sich größtenteils angetan, ist „restlos überzeugt“ (Alain Claude Sulzer), empfindet die Umsetzung des Themas als gelungen (Karin Fleischanderl), ist dann wieder skeptisch-unentschlossen, weiß nicht, ob Petersens Text nun Kitsch oder Kunst ist (Paul Jandl), und moniert die „göttliche Besoffenheit des Erzählers“. (Hildegard E. Keller)

Etwas Pech hat im Anschluss daran Andreas Schäfer, der gleichfalls einen Romanauszug vorlegt und gleichfalls von einem Mann in einer Extremsituation erzählt, von einem Mann, der als Pilot arbeitet und seinen fünfzehnjährigen Sohn durch einen Mord verliert. Schäfers Text ist bestens erzählt, sorgfältig und psychologisch komplex fühlt er sich in seine Hauptfigur ein, lässt diese beruflich aus der Bahn geraten, ohne dass sie sich aufgäbe. Schäfer schafft es dabei gut, die Spannweite zwischen ausdifferenzierten Arbeitszusammenhängen und damit überhaupt nicht mehr in Einklang zu bringenden privaten Schickssalsschlägen genauestens ausmessen.

Als „spannungsfrei und pannenfrei“ bezeichnet Karin Fleischanderl dann etwas hilflos den Text und bedient sich so einmal mehr eines außerliterarischen Arguments, um ihren Ruf als Dauergrantlerin zu erhalten. Schon richtiger liegt Iljoma Mangold, der sich wie einige seiner Kollegen nicht der Zustimmung verweigern will, Schäfers Text schön, einfühlsam und klug findet, aber eine „gewisse Wildheit“ vermisst. Vermutlich meint er dabei den Tick, der Schäfers Text von einem guten zu einem sehr guten macht, „Das bisschen Besser“ eben, um es mit der Hamburger Diskursrockband Die Sterne zu sagen.

Einlassungen wie die von Mangold und Fleischanderl aber beweisen, dass, bei aller Güte von Petersens und Schäfers Texten, die Jury in diesem Jahr noch keinen einzigen Beitrag geschlossen als gut bis sehr gut beurteilt hat. Tatsächlich hat es den einen großen, überwältigenden Text in diesem Jahr noch nicht gegeben, so wie etwa anno 2004 Uwe Tellkamp oder 2007 Lutz Seiler, die sich entscheidend vom Gros der Konkurrenz abhoben. Doch zum anderen weist diese Ungeschlossenheit auf die Lust zum Widerspruch hin, die die mit vier neuen Mitgliedern besetzte und erstaunlich gut miteinander harmonierende, also ordnungsgemäß streitende Jury auszeichnet. Das ist nicht immer überzeugend, wie bei Fleischanderl, das hat manchmal was irritierend Abgehobenes, von einem Fremdeln in der Gegenwartsliteratur, wie bei der Expertin für mittelalterliche Literatur, Hildegard E. Keller, das ist aber oft angemessen, wie bei Paul Jandl. Oder es überzeugt durch treffliche Analysen, wie bei der scheinbar am besten und sorgfältigsten von allen vorbereiteten Meike Feßmann.

Mag die Jury also eher wenig Anlass zum Klagen geben (natürlich würde man sich zuweilen mehr Schärfe, mehr Gemeinheiten, mehr Apodiktik wünschen), so wirkt die Moderation von Clarissa Stadler, die nach nur einem Jahr den glücklosen, eindeutig fehlbesetzten Dieter Moor abgelöst hat, doch zuweilen störend. Stadler scheint ihre Grenzen nicht zu kennen, vielleicht ist ihr auch aufgetragen worden, sie zu überschreiten. Jedenfalls ist sie genauso störrisch wie unverdrossen dabei, sich mit Einlassungen, die meist mit „Ich denke...“ beginnen, an der Diskussion zu beteiligen, oder missglückte und überflüssige Diskussionszusammenfassungen beizusteuern. Ein Hoch also auf den ewigen Ernst A. Grandits, der bis vor zwei Jahren die Lesungen und Diskussionen nobel und angenehm unbeteiligt moderierte.

Stadler muss sich dann hin und wieder gar von den Jurymitgliedern belehren lassen. So zum Beispiel von Burkhard Spinnen, der sich der von ihr einmal an ihn gerichteten Aufforderung, doch einmal den Stand der Diskussion zusammenzufassen, verweigert und sie darauf hinweist, dass das nicht seine Aufgabe sei und jede Jury-Äußerung für sich stehen müsse: „Wir hören uns das alles an, schlafen darüber, und dann entscheiden wir“. Allerdings ist auch Spinnen nicht ohne Fehl und Tadel, rutscht ihm doch nach der Lesung von Ralf Bönt ein „Du“ heraus, womit er seine vermutlich freundschaftliche Nähe zu diesem Autor beweist. Seine richtige, aber doch nicht zu Ende gedachte und argumentierte Beobachtung erscheint da nach der Bönt-Lesung in einem anderen Licht, als Spinnen ausführt, was es „mit dem Umgang mit der Historie als Historie“ in Geschichten auf sich habe: „Bedeutung bekommt dieser erst durch die Art des Erzählens.“ Will meinen: Noch keine Geschichte, die sich mit interessanten historischen Persönlichkeiten wie im Fall von Bönt den 19-Jahrhundert-Physikern Faraday und Hertz auseinandersetzt, ist automatisch eine gute Geschichte.

Bönts Geschichte ist zwar eine gute, die dritte gute an diesem Freitag, doch die Notwendigkeit, sie zu erzählen, das Besondere über die Forschungsgebiete und die persönlichen Schicksale der beiden Physiker, das, was große Literatur ausmacht, teilt sich darin nicht unbedingt mit. Das Leben ist halt kein Zuckerschlecken, erfährt man, schon gar nicht, wenn man beruflich mit Quecksilber in Berührung kommt. Gut erkennbar ist da vor allem Bönts Versuch, ein größeres, naturwissenschaftlich nicht interessiertes Publikum emotional einzubinden. Was an seinem Text aber beeindruckt, ist das Wagnis, ein Phonon, also ein Schallteilchen, als Ich-Erzähler auftreten zu lassen („Ich bin die Erregung“) und über dieses Ich die Biografien von Faraday und Hertz manchmal Satz für Satz ineinanderzuscheiben.

Die Jury belohnt dieses Wagnis nicht unbedingt mit warmen Worten, nennt es „originell“, „Kamikaze des Erzählens“, entzündet sich mehr an Bönts nicht wirklich origineller, aber anständiger Sprache. Paul Jandl lässt dieses Kritisieren den Bock schießen, die Sprache Bönts nicht gut zu finden und mehr Gedankenschärfe zu fordern, als ob hier ein Zusammenhang bestünde. Und die Jury belehrt am Ende in der Person von Alain Claude Sulzer den 46 Jahre alten Berliner Schriftsteller Bönt noch, dass er sich mit dem Alter von Faraday um genau vier Jahre verrechnet habe, was dieser zugeben muss. Er könne das ja noch berichtigen, fügt Sulzer an, ohne zu berücksichtigen, dass Bönts Buch „Die Entdeckung des Lichts“, aus dem sein Klagenfurt-Text ein Auszug ist, lange fertig ist und schon als Leseexemplar in Redaktionen und bei Buchhändlern vorliegt. Es erscheint am 24. August.

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