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Balkan: Zum Frieden genötigt

Vorbild Kroatien, Desaster Kosovo: Zwei Spiegel-Autoren über den Balkan als Interventionsort

Man kann dieses Buch als die blutige Geschichte einer Region lesen, die kaum ein Jahrzehnt ohne Krieg gekannt hat. Vieles von dem, was zwei der ortskundigsten deutschen Balkankorrespondenten berichten, führt noch einmal die Tragik der grausamen Ereignisse in den sieben Nachfolgestaaten Jugoslawiens vor Augen. Man kann diese glänzend geschriebenen Schilderungen aber auch als ein Lehrstück für die künftige Außen- und Sicherheitspolitik des Westens verstehen.

Befürwortern der amerikanischen Irak-Invasion 2003 wird bis heute nicht unbegründet vorgeworfen, sie hätten sich blenden lassen vom Glanz einer humanitären Mission der Vereinigten Staaten, von der versöhnenden Macht des Marktes und dem Versprechen globaler Menschenrechte. Die Frage, ob Kurden, Sunniten und Schiiten friedlich zusammenhalten können, was Saddam Hussein durch Terror zusammenzwang, sei sträflich ignoriert worden. Erst spät, vielleicht zu spät, hätte Washington die Wirklichkeit anerkannt – Einsicht als erster Schritt zur Erkenntnis.

Doch eben hiervon scheint Europa, das sich auch in Barack Obamas Präsidentschaft darin gefällt, Amerikas Verhalten zu benoten und der amerikanischen Regierung unerbetene Ratschläge zu erteilen, bei seinen eigenen Militärinterventionen selbst noch weit entfernt. Nach der Lektüre von Olaf Ihlaus und Walter Mayrs pointiertem Balkan-Überblick erscheint es fraglicher denn je, ob die selbst ernannte „Friedensmacht“ Europa in der Lage ist, stabile Staaten aufzubauen. 14 Jahre nach dem Vertrag von Dayton wirken Bosnien und der Kosovo wie ungewollte Kolonien der Europäischen Union. Während die Europäer den Amerikanern vorhalten, sie hätten sich vor dem dritten Golfkrieg nicht gefragt, ob Kurden, Sunniten und Schiiten friedlich zusammenleben können, weicht Europa dieser Frage in Bezug auf die bosnischen und kosovarischen Bevölkerungsgruppen aus.

Dabei ist die Problemlage verblüffend ähnlich: Wie in Bagdad sitzt in Sarajevo eine schwache Zentralregierung mit einem ethnisch aufgeteilten Dreierpräsidium. Die serbische Teilrepublik gibt sich gern „souverän“. Die bosnisch-kroatische Föderation ist ihrerseits in zehn ethnisch weitgehend getrennte Kantone unterteilt. Die Folge sind vier teilweise konkurrierende Gesetzgebungen, fünf Präsidenten, sechs Parlamentskammern und 13 zum Teil miteinander in Konkurrenz stehende Verwaltungen. Dazu kommt ein Hoher Repräsentant der internationalen Staatengemeinschaft, der mittels umfassender Exekutivvollmachten immer wieder in das politische Tagesgeschäft eingegriffen hat, um das fragile Staatengebilde zusammenzuhalten.

Vor derlei Problemen steht auch die EU-Mission Eulex im Kosovo. Sie hat nach dem Ahtisaari-Plan einer „überwachten Unabhängigkeit“ die Verwaltung der Vereinten Nationen in Prishtina abgelöst. Doch wie in Bosnien gibt es auch hier einen serbisch dominierten Landesteil im Norden, dessen Bevölkerung die Staatshoheit der kosovarischen Zentralregierung ablehnt. Daher wollen die Europäer im Kosovo wie bereits in Bosnien mit einer Protektoratsbehörde ihre Rechtsstandards durchsetzen, Minderheiten schützen und Extremisten in die Schranken weisen, und das in einem Land, das nicht nur als politisches, sondern auch als ökonomisches Krisengebiet mit ausgeprägter Schmuggelwirtschaft, hoher Arbeitslosigkeit und Geburtenrate gilt.

Die bittere Ironie der Geschichte wird daher gerade im Kosovo-Kapitel der beiden „Spiegel“-Journalisten deutlich: Hier werden die Europäer, die sich bei Fragen militärischer Interventionen gerne moralisch über die Amerikaner erheben, noch auf Jahrzehnte mit den Folgen ihres gemeinsamen Angriffskrieges gegen Belgrad 1999 konfrontiert sein, eines Waffengangs, der vom Sicherheitsrat in New York ebenso wenig legitimiert war wie der Krieg am Golf 2003.

Doch was wäre die Alternative gewesen? Der von Ihlau und Mayr ausführlich beleuchtete Fall Bosnien lehrt, dass der Westen bei der Suche nach halbwegs erfolgreichen Reaktionen auf Bürgerkriege in seiner Nachbarschaft oder gerade auch auf innerstaatliche Konflikte in weit entfernten Weltgegenden einem zentralen Abschnitt der Staatengeschichte mehr Aufmerksamkeit widmen sollte. Denn bereits der Dreißigjährige Krieg, der viele Parallelen zu den Gewaltformen der Gegenwart aufweist, hat gezeigt, dass „Staaten bauen“ nicht von Erfolg gekrönt ist, wenn es die Folgen asymmetrischer Kriegführung mit symmetrischen Methoden wie klassischen Militärinterventionen zu beseitigen versucht.

In Bosnien konnte eine Waffenruhe dadurch nachhaltig gesichert werden, dass die USA und der Iran die bosnischen und kroatischen Streitkräfte für ihre erfolgreiche Gegenoffensive im August 1995 aufrüsteten. Das schaffte nicht nur gegenüber den anfangs überlegenen Serben erst Symmetrie auf dem Schlachtfeld und dann am Verhandlungstisch. Es erwies sich auch als effektiver als die direkten Interventionsversuche von UN und Nato.

Der Fall Bosnien zeigt, dass sich aus den Konfliktkonstellationen, die dem „Westfälischen Frieden“ vorausgingen, deutliche Hinweise für aktuelle Formen der Kriegsprävention und Konfliktregelung gewinnen lassen. Wie das „Westfälische System“ als Symmetriegenerator und -garant die europäische Staatenwelt nach 1648 geprägt hat, beherrscht seit 1995 das System des Vertrags von Dayton den Balkan. Voraussetzung war in beiden Fällen, dass erst Symmetrie in den militärischen Fähigkeiten der verfeindeten Parteien geschaffen und anschließend durch Sanktionen und Gratifikationen aufrechterhalten wurde. Sowohl das „Westfälische System“ als auch das „Dayton-System“ schließen Regelungen zur Rüstungsbegrenzung ein, in denen die ehemaligen Kriegsgegner übereinkommen, Symmetrie auf Dauer herzustellen. Frieden im engeren Sinne – das ist eine weitere Lehre aus Ihlaus und Mayrs zahlreichen Balkanreisen – können Opfer und Täter ohnehin nur selbst miteinander schließen und vor allem gemeinsam vorleben.

– Olaf Ihlau,

Walter Mayr:

Minenfeld Balkan.

Der unruhige

Hinterhof Europas.

Siedler Verlag,

München 2009.

304 Seiten, 22,95 Euro.

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