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György Dalos

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Belletristik: Kader und Kabale

György Dalos erzählt in "Jugendstil" eine Romeo-und-Julia-Geschichte unter den Bedingungen eines ungerechten Systems.

György Dalos ist ein grundständiger Ironiker, kommt in seinen Büchern sonst aber eher spröde daher: wie jemand, der seinen Auftrag zu zeitgeschichtlich-politischen Erklärungen nur mit letzter Kraft zu zügeln weiß, indem er noch lakonischer wird als ohnehin. Sein Thema ist Ungarn, mal historisch ausgreifend, dabei äußerst abgespeckt („Ungarn in der Nussschale“), mal ebenso persönlich wie zugunsten der Sache zurückhaltend fokussiert auf „1956“, das Trauma der Jüngstzeit: den Aufstand, den er als 13-Jähriger miterlebte.

Nun hat der in Berlin lebende Autor mit „Jugendstil“ wieder einen kleinen Roman vorgelegt, der einmal mehr zeigt, warum man ihn trotz seiner stilistischen Kargheit immer wieder gern liest und geradezu rührend finden kann, wenn er etwa das Angebot von Burger King durch „schlichte Speisen“ charakterisiert. Wer Dalos noch nicht kennt, hat mit diesem Büchlein einen starken Anlass, ihn endlich kennenzulernen.

Robert Singer ist im Wiener Exil geworden, was er seit Schulzeiten sein wollte: ein Spezialist für den Jugendstil. Auf einer Reise zurück nach Budapest begegnet er einem erbarmungswürdig heruntergekommenen Individuum, das sich als Feri K. vorstellt, damals Mitschüler, Mathematikkoryphäe und unangenehmer Kerl. Ein Erinnerungsschub zum Herbst 1961 setzt ein. Singer, aus unterprivilegierter Familie, dafür umso ehrgeiziger, ist ein engagierter Jungkommunist, aber auch unsterblich verliebt in Ilona, die Tochter eines berühmten Mediziners. Diese Liebe, auf dem besten Wege der Erfüllung, wird in ebenso minimalistischen wie plastischen Details geschildert. Sie scheitert jedoch, weil Feri K., der von den forschen Jungkadern wegen seines politisch inhaftierten Vaters Zurückgestoßene, sich zu rächen versucht. Wie es dazu kommt und was dabei passiert, das wirkt in seiner zeitsymptomatischen Gratwanderung von jugendlicher Zukunftsgewissheit und Gegenwartsbedrückung so dicht, dass man gar nicht anders kann, als letztlich Autobiographisches dahinter zu vermuten.

Es ist, wenn man so will, die ewige Romeo-und-Julia-Geschichte, doch unter den historischen Bedingungen eines Systems, das zusammengesetzt ist aus paranoischem Misstrauen und phantasmatischer Selbstgerechtigkeit. Aber das ist nicht das Schlimmste. Nicht die tragische Konstellation von gläubigen Kadern, opportunistischen Spezialisten und hochfahrend Verstoßenen macht das Unglück aus, sondern dass sich alle noch so feindlichen Seiten vom selben atavistischen Wahn durchdrungen zeigen – vom Antisemitismus. Dalos hat das in novellistischer Strenge durchgespielt. Und für die obligate „unerhörte Wendung“ sieht die Komposition einen gleichermaßen profanen wie alttestamentarischen Fluch vor. Am Ende bewahrheitet sich im Schicksal des Opfers/Täters Feri K. auf unheimliche Weise jener Witz, den eingangs der Obergenosse erzählt: Am Anfang gab es Ur- und Sklavenhaltergesellschaft und die Juden. Es blieben die Juden. Dann kamen Feudalismus und Kapitalismus. Es blieben die Juden. Nun haben wir den Kapitalismus und den Sozialismus ...

György Dalos: Jugendstil. Roman. Rotbuch, Berlin 2007. 173 Seiten, 17, 90 €.

Erhard Schütz

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