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Zum Goldenen Hahn

© Promo

Berlin: Hier findet uns keiner

Eine Kreuzberger Kneipe will Weltkulturerbe werden.

Gegenüber dem Restaurants einer Sushi-Kette, zwischen all den schicken neuen Cafés, wehrt sich am Kreuzberger Heinrichplatz eine kleine Einrichtung standhaft gegen die Yuppiesierung des Kiezes: die Tageskneipe „Zum Goldenen Hahn“. Hinter ihren trüben Scheiben sitzen Trinkende im Rauch und senden den Passanten müde Blicke nach. Wer es wagt, hier die Klingel zu betätigen, darf nur rein, wenn Inge, die Wirtin und Mutterfigur, es will.

Einem der Stammgäste gelang es vor neun Jahren, einigen Medienwirbel um das kleine Lokal zu entfachen. Bernd Kramer, Verleger anarchistischer Klassiker, hatte bei der Unesco beantragt, den Goldenen Hahn samt Wirtin und Gästen in die Liste bedrohter Weltkulturerbestätten aufzunehmen. Bislang wurde dem Antrag nicht stattgegeben, und so adelt Kramer den Hahn nun selbst mit einem Buch, das tiefe Einblicke in die Kneipenwirklichkeit bietet.

Neben Zeitungsartikeln, die amüsiert über den Unesco-Antrag berichteten, finden sich wilde Montagen spontaner Schnappschüsse und Bierdeckelskizzen. Nur die wirklichkeitsferne Unternehmungslust der Trunkenen kann ein solches schwer zu entschlüsselndes Durcheinander produzieren. Geschichten erzählen davon, wie jemand im Goldenen Hahn Geschichten vorliest, die vom Goldenen Hahn erzählen. Das Leben in der Spelunke kreist um sich selbst. Um es mit Kramers Worten zu sagen: „Schweinewelt ist draußen, wir hocken drinnen.“

Dennoch sind die Antworten aus der Schweinewelt die größten Sensationen des Kneipenalltags. Lausbubenstolz, als sich die Redaktion von Jürgen von der Lippe wegen möglicher Teilnahme in einer Sendung meldet. Lausbubenstolz, als es gelingt, die Redaktion wieder zu vergraulen. Das Buch gründet auf einer paradoxen Strategie: Es sendet wirre Rauchzeichen einer kleinen Gemeinschaft, die alle wissen lassen will, dass sie lieber unter sich bleibt. So ist es auch Denkmal für eine tief in den Siebzigern verhaftete Verweigerungshaltung, wie sie in dieser Kombination aus Radikalität und Passivität selten geworden ist. Dass es an der Grenze zur Ungenießbarkeit entlangtorkelt, zeichnet es gerade aus. Wer lange gräbt, findet auch starke poetische Momente: „Die Bewegung ist Rauch und Gespräch oder Stille, eine Langsamkeit, die dem Draußen den Stinkefinger zeigt. Schön, dass man unter seinesgleichen bleibt. Gut, dass die Außenwerbung kaputt ist. Hier findet uns keiner.“

Bernd Kramer und Erik Steffen: Geschichte & Geschichten. Zum Goldenen Hahn. Karin Kramer Verlag, Berlin 2007. 154 Seiten, 12,80 €.

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