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Literatur: Bilder eines Spions

Wer ermordete Alexander Litwinenko? Seine Frau und sein bester Freund begeben sich auf Spurensuche

Sieben Monate ist es jetzt her, dass Alexander Litwinenko, der ehemalige Agent des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, nach einem Anschlag mit Polonium-210 qualvoll starb. In einer Kapsel soll das Gift gewesen sein, bei einem Besuch in einem Londoner Sushi-Laden, vermutet Scotland Yard, mischten die Täter es in seinen Tee. Wegen der Gefahr, die von der Strahlung seines Körpers auch nach seinem Tod ausgeht, musste Litwinenko in einem verplombten Sarg beigesetzt werden, verbrannt werden darf der Leichnam erst in 28 Jahren.

In dem Buch „Tod eines Dissidenten“ beschreiben Alex Goldfarb und Marina Litwinenko, die Witwe des Ermordeten, den Werdegang Litwinenkos vom überzeugten FSB-Ermittler zum Dissidenten. Goldfarb, zu Sowjetzeiten emigrierter Naturwissenschaftler und heute Leiter der vom Putin-Feind Boris Beresowski gegründeten International Foundation for Civil Liberties, war selbst ein enger Freund des Ermordeten. Im Winter 2000 half er Litwinenko bei seiner dramatischen Flucht nach London. Das Buch sei „eine sehr persönliche Erzählung“, bekennt Goldfarb im Vorwort, „die historischen Ereignisse sind hier und dort auch anders dargestellt worden“.

Das ist noch vorsichtig formuliert, ist das Buch doch in weiten Teilen eine in der Ich-Form Goldfarbs geschriebene Darstellung von Russlands Entwicklung seit 1994 – vom Tschetschenienkrieg bis zur orangen Revolution in der Ukraine, vom Niedergang der Pressefreiheit unter Putin bis zur zunehmenden politischen Abschottung des Landes. Vor allem aber ist „Tod eines Dissidenten“ ein Buch über den Aufstieg und Fall des umstrittenen Oligarchen Boris Beresowski, der wie Goldfarb im Londoner Exil lebt – und der als Arbeitgeber des Autors erwartungsgemäß mit Seidenhandschuhen angefasst wird.

Goldfarb beginnt das Buch mit einem biografischen Aufgalopp über Freund „Sascha“: Ohne Großvater aufgewachsen, ging der junge Litwinenko als 17-Jähriger zur russischen Armee. Begeistert reagierte der Leutnant, als er vom KGB angeworben wurde, weil er meinte, mit dieser Arbeit Menschen beschützen zu können. Von den dunklen Seiten der „kontora“, der Firma, habe er erst in den 90er Jahren erfahren. In der Antiterroreinheit der KGB-Nachfolgeorganisation FSB diente Litwinenko als Aufklärer im Range eines Majors. Organisiertes Verbrechen, Attentate, Entführungen und Korruption bei der Polizei gehörten zu seinen Fällen.

So lernte er 1994 Boris Beresowski kennen, der damals eine Autohandelsfirma besaß und knapp einem Bombenattentat entkommen war. Litwinenko vermutete hinter diesem Attentat eine Bande von Auftragsmördern, die in der Zeit der Privatisierungen der russischen Staatsbetriebe viele Aufträge hatten. Zu einem der international bekanntesten Fälle wurde im März 1995 die Ermordung des neuen Generaldirektors des Beresowski-Fernsehsenders ORT, Wladislaw Listjew.

Als Alexander Litwinenko von der bevorstehenden Verhaftung Beresowskis durch die Moskauer Polizei erfuhr, warnte er ihn. Er vermutete, dass dies gefährlich für ihn werden könnte, da Mitglieder der Kurgan-Bande, einer Bande von Auftragsmördern, bei der Moskauer Polizei dahinterstecken könnten. Zudem berichtete Litwinenko Alex Goldfarb angeblich darüber, dass er Mitte der 90er Jahre bemerkt habe, dass nicht nur die Polizei, sondern auch seine „Firma“ korrupt war. Informationen, die seine Kollegen vom FSB sammelten, wurden verkauft und dienten dazu, Konkurrenten unter Druck zu setzen oder auszuschalten.

Spannend wie in einem Thriller, wenn auch mit Hang zur Verschwörungstheorie schildert Goldfarb den russischen Privatisierungsprozess, die internen Machtkämpfe im Kreml, den Aufstieg Putins und die Wiederkehr der alten KGB-Strukturen. Er beschreibt die Auseinandersetzung mit dem US-Börsenguru George Soros, der den russischen Raubtierkapitalismus kritisiert und Räuberbarone wie Beresowski dafür verantwortlich macht. Zum politisch einflussreichen Oligarchen aufgestiegen, engagierte sich Beresowski im Ölgeschäft und versuchte die mit Agenten des FSB durchsetzte staatliche Luftfahrtlinie Aeroflot in seinen Besitz zu bekommen. Im Januar 1996 schlossen die bisher konkurrierenden russischen Oligarchen ein Bündnis für die Wiederwahl des angeschlagenen Präsidenten Jelzin. In ihren Augen war er das kleinere Übel. Eine realistische Alternative zu den mittlerweile in den Umfragewerten bei 40 Prozent liegenden Kommunisten bot auch nicht die sozialdemokratische Partei Jabloko von Gregorij Jawlinski. Die Medienkampagne der meinungsbildenden Fernsehsender ORT (Beresowski) und Grusinskis NTW wurde schließlich ausschlaggebend für den knappen Wahlsieg Jelzins.

Die Ereignisse in Tschetschenien bilden einen weiteren Schwerpunkt des Buches: Die beiden Tschetschenienkriege, die Friedensverhandlungen, an denen von russischer Seite ab 1996 auch Beresowski als Sicherheitsberater teilnahm. Detailliert geht Goldfarb auch auf die Recherchen der später ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja ein, die belegen sollten, dass bei den Bombenanschlägen auf Moskauer Wohnhäuser im Jahr 1999 ebenso wie bei dem vereitelten Anschlag in der 300 km südlich gelegen Stadt Rjasan der russische Geheimdienst seine Finger mit im Spiel hatte.

Im Januar 1996 wurde Alexander Litwinenko nach Dagestan geschickt. Über diesen Einsatz erzählte er sichtlich mitgenommen seiner Frau Mariana, mit der er nie zuvor über seine Arbeit gesprochen hatte. Ohne jede Ausrüstung und Schutzkleidung hätte seine Truppe des Moskauer FSB den Befehl erhalten, ein Dorf zu stürmen. Sie gerieten zwischen die Fronten und mussten in Deckung vor den eigenen Leuten gehen. Die Einsatzleitung hatte sie vergessen, die Generäle waren betrunken und beinahe wären sie in den eiskalten Winternächten erfroren.

Im August 1997 wurde Litwinenko zu einer neuen Spezialeinheit, der UPRO versetzt. Die UPRO war zwar dem FSB untergeordnet, genoss aber einen autonomen Status. „Sascha begriff schnell, dass die UPRO sich bei ihren Operationen gegen mutmaßliche Verbrecher nicht immer im Rahmen der Legalität bewegte“, schreibt Goldfarb. Als er 1998 den Auftrag erhielt, Beresowski aus dem Verkehr zu ziehen, traten Litwinenko und drei seiner Kollegen mit einer legendären Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Die folgenden Ermittlungen allerdings verliefen im Sande. Der neue FSB-Direktor Wladimir Putin löste die Einheit auf. Litwinenko erhielt keinen neuen Posten und wurde 1999 wegen Missbrauch seiner Stellung beim FSB verhaftet. Nach seiner Freilassung wartete schon ein neues Gerichtsverfahren auf ihn.

Mittlerweile hatte Jelzin seinen Nachfolger gekürt. Beresowski unterstützte den farblosen, aber auf ihn ehrlich wirkenden Putin und wurde sein Berater. Als Putin mit seinem ersten großen Gesetzentwurf die Regierungsverantwortung der 86 russischen Provinzen drastisch einschränkte, ging Beresowski auf Distanz, schreibt Goldfarb. Die kritische Berichterstattung seines Senders ORT über den Untergang der Kursk, besiegelte das Ende der guten Beziehungen zwischen Putin und Beresowski.

Laut Alex Goldfarb hielt Litwinenko Putin von Anfang an für einen Schläfer des alten KGB. Er zitiert Beresowski: „Diese KGB-Leute sind nicht amoralisch, im Gegenteil. Sie folgen sogar einem sehr strengen moralischen Kodex. Es ist nur nicht derselbe, den Menschen wie du und ich beachten. Sie werden darauf trainiert, ihren Leuten bis in den Tod die Treue zu halten. Aber die Konsequenz, die sich daraus ergibt, ist, dass ein Treuebruch auch mit dem Tod bestraft werden muss. Für Putin war Sascha ein Verräter. Sascha hat versucht, mir das zu erklären, aber ich habe ihn erst begriffen, als es bereits zu spät war.“

Scotland Yard verdächtigt den ehemaligen KGB-Agenten und heutigen Millionär Andrej Lugowoi des Mordes an Alexander Litwinenko. Lugowoi dagegen behauptet, Beresowski und Litwinenko hätten für den britischen Geheimdienst gearbeitet. Entweder der britische MI5 oder Beresowski seien für den Mord an Alexander Litwinenko verantwortlich.

Für Goldfarb scheidet das selbstredend aus – er ist der Meinung, dass alle Vorgänge um die Londoner Dissidentengruppe unter direkter Kontrolle Putins stehen und kein Auftragsmörder oder Killerkommando Zugang zu dem schwer bewachten radioaktiven Polonium-210 in Russland haben könnte. Dies klingt nicht unplausibel –nur belegen kann er es nicht. Und so kann auch „Tod eines Dissidenten“ letztlich keine neuen Beweise liefern, um Litwinenkos eigene These zu untermauern: dass seine Ermordung auf das Konto Putins gehe.



– Alex Goldfarb,

Mariana Litwinenko:
Tod eines Dissidenten. Warum Alexander Litwinenko sterben musste. Hoffmann & Campe, Hamburg 2007. 427 Seiten, 19,95 Euro.

Christiane Schubert, Wolfgang Templin

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