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Jürgen Fuchs

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Biografie: Gefährlicher Staatsfeind

Udo Speers Biografie von Jürgen Fuchs beschreibt, wie die DDR ihn zum Dissidenten machte.

Für die Staatssicherheit war er „einer der gefährlichsten Staatsfeinde im Westen“. Viel Ehre für einen jungen Schriftsteller, der in der DDR nicht mehr als eine Handvoll Gedichte veröffentlicht hatte, als ihn die Stasi 1976 verhaftete und neun Monate später, vor genau 30 Jahren, abschob. Die Bücher, die ihren Zorn erregten, sind sämtlich in der Bundesrepublik erschienen, das erste, „Gedächtnisprotokolle“, noch während seiner Untersuchungshaft in Hohenschönhausen, wo man Besuchern heute seine Zelle mit der Nr. 332 zeigt. Später folgten die „Vernehmungsprotokolle“ (1978), zwei Gedichtbände „Tagesnotizen“ (1979) und „Pappkameraden“ (1981), noch später zwei Romane „Fassonschnitt“ und „Das Ende einer Feigheit“ (1984 und 1988), mit denen er seinen Militärdienst in der NVA verarbeitete. Sein Hauptwerk „Magdalena“, betitelt nach dem Stasi-Hauptquartier in der Ostberliner Magdalenenstraße, erschien erst 1998 nach dem Untergang der DDR; ein literarisches Protokoll seiner Konfrontation mit den Schandtaten der Staatssicherheit, die er mit einem Forschungsauftrag in der Gauck-Behörde aus den Akten rekonstruierte.

Es muss die Verfolger von Jürgen Fuchs überrascht haben, dass der Fall mit seiner Ausreise nicht ausgestanden war. Gleich nach seiner Abschiebung erschienen in einem Hamburger Magazin seine „Vernehmungsprotokolle“, in denen der studierte Sozialpsychologe seinen Vernehmern wortwörtlich den Spiegel vorhielt. In der Folge wurde er erneut zur Fahndung ausgeschrieben, so dass er die Transitstrecke durch die DDR meiden musste. Das hinderte Fuchs nicht, mit seinen Freunden im heimatlichen Jena und seinem Mentor Robert Havemann in Kontakt zu bleiben und zum Mittelpunkt eines Netzwerks zwischen Exil und Bürgerbewegungen in der DDR und ganz Osteuropa zu werden. Ob auch sein früher Tod 1999, mit nur 48 Jahren, damit in Zusammenhang stand, ist bis heute ungeklärt; er selbst hatte die Vermutung, er sei in der Haft radioaktiv verstrahlt worden.

Die Biografie, die Udo Scheer – ein Journalist aus dem Jenaer Freundeskreis – nun geschrieben hat, ist eine politische. Scheer kann sich auf Fuchs selbst berufen, der ihm einmal gestanden habe: „Eigentlich wollte ich einmal nur Gedichte schreiben, vielleicht über die Liebe, die Natur. Wichtigeres drängt sich vor.“ Wann das war, kann Scheer genau datieren: 1968, mit dem Einmarsch der Sowjets in Prag, als die Stasi einen Mitbewohner im Haus abholte, weil er ,Dubcek’ an Häuserwände geschrieben hatte. Er zitiert Fuchs: „Als er rauskam mit kurzen Haaren und komischen Augen, hat er mich besucht und wenig erzählt, und ich hab ihm auch nicht gesagt, wie ich das fand, was er gemacht hat. Ich hab keinem erzählt, dass ich damals ,Dubcek’ an ein Plakat geschrieben hatte, auf dem Bahnhof, ganz klein, mit Kuli, keiner wird es gleich gemerkt haben, so winzig war das hingekritzelt.“ Zur gleichen Zeit entdeckt er Victor Klemperers Buch „LTI“, das zwar die Sprache des „Dritten Reichs“ analysiert, aber von seinen jungen Lesern in der DDR auch als Kritik an der Parteisprache der SED gelesen wurde: „Die Augen durch Klemperer geöffnet, fand er in der Staatssprache der DDR bestürzende Parallelen zur Ideologiesprache und zum Sprachverfall im Dritten Reich … ,Sklavensprache’, Unschärfe und Rückzug auf Doppeldeutiges lehnte er nach dieser Lektüre rigoros ab. Mit seinem Anspruch, ,Klartext’ zu schreiben, und seinem dokumentarliterarischen Stil nahm Jürgen Fuchs eine Sonderstellung unter ,Jungen Poeten’ wie unter Schriftstellern der DDR ein. Damit begab er sich in Widerspruch zum propagierten Sozialismusbild.“

Fuchs wollte die SED von innen her verändern. Im Juni 1974 wurde er als Kandidat aufgenommen und blieb Mitglied bis zur Zwangsexmatrikulation. Er brachte es sogar fertig, nach einer Maßregelung wegen einer Lesung seiner Texte eine Eingabe an Erich Honecker zu schreiben: Er sei „einfach nicht bereit zu glauben, dass alles, was ich erlebe, mit Deiner Billigung und Deinem Wissen geschehen kann“. Die Reaktion war eine neuerliche Vorladung vor die Bezirksleitung der SED. Obwohl er seine Diplomarbeit „Leitertraining-Management“ bereits mit „sehr gut“ abgeschlossen hatte, wurde er schließlich wegen „Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit“ vom Studium an allen Hochschulen der DDR ausgeschlossen. Sein Einwand, der Beschluss verletze die verfassungsmäßige Freiheit der Meinungsäußerung, wurde vom Leiter des Disziplinarausschusses beantwortet, dass „hier kein Ort für politische Erklärungen sei“.

Fuchs fand zunächst Zuflucht bei Robert Havemann in Grünheide und Arbeit als Erzieher in einem kirchlichen Heim. Nach Biermanns Ausbürgerung wurde er am 19. November 1976 aus Havemanns Auto heraus verhaftet. Doch was seine Häscher nicht vorausgesehen hatten: Zum ersten Mal reagierte die westliche Linke bis hin zu den Eurokommunisten mit offenem Protest. Ein „Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus“ erwirkte seine Freilassung, während die CDU der Bundesrepublik mit dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ Wahlkampf machte. In seiner ersten Erklärung in Westberlin dankte er „allen in Ost und West, die sich mit uns solidarisierten … Dabei gibt es doch zu den Absichten der Staatssicherheit nur eine Alternative: eine menschenfreundliche, fortschrittliche sozialistische Gesellschaft, in der jeder Mensch atmen kann, kein Polizeistaat, der seine Bürger bespitzelt, einsperrt, ausbürgert oder aus ihrem eigenen Land drängt“.

Dass es noch andere Alternativen gab, hat er nur zögernd eingeräumt. Scheer berichtet, dass Fuchs noch 1996 zögerte, Helmut Kohl bei einem Treffen die Hand zu geben: „Für ihn war Kohls China-Besuch angesichts der Menschenrechtslage dort überaus problematisch, doch dann fand er den Bundeskanzler in seiner exakten direkten Art schnell sympathisch.“ Zur SPD hielt er Distanz, nachdem ihn Johannes Rau bei einer Intervention für Bürgerrechtler der DDR enttäuscht hatte. Mit Sympathie begleitete er die Grünen, wenn sie sich dem Einfluss der DKP auf die Friedensbewegung widersetzten. Am besten charakterisiert ihn, was er bereits in seinem Brief an Honecker formulierte: „Ich sehe meine Aufgabe als Schriftsteller in der Aufdeckung der Wirklichkeit und der Kritik ihrer schlechten Seiten.“

– Udo Scheer: Jürgen Fuchs. Ein literarischer Weg in die Opposition. Jaron Verlag, Berlin 2007. 384 Seiten, 14,90 Euro.

Hannes Schwenger

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