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Buchmesse:: Die große Nachlese

Viel geredet, getratscht, gemunkelt, gekunkelt und genetzwerkelt, das aber in diversen Parallelwelten: Gerrit Bartels über die verpassten Gelegenheiten auf der Buchmesse.

Kennen Sie Rolf Bauerdick? Das sollten Sie vielleicht, wenn Sie sich für Fotografie interessieren: Der Mann ist einer der bekanntesten deutschen Reportagefotografen. Das müssen sie jedoch nicht, wenn Sie Literaturliebhaber sind, denn bislang ist Bauerdick literarisch nicht in Erscheinung getreten. Bislang. Denn in zwei Wochen erscheint sein Debütroman „Wie die Madonna auf den Mond kam“. Und glaubt man Bauerdicks Verlag, der zum Random–House-Imperium gehörenden Deutschen Verlagsanstalt, war dieser Roman eins der Top-Buchmessethemen. Zumindest unter den Verlagslektoren aus aller Welt, wie die DVA stolz verkündet.

Der Roman ist nämlich schon vor seinem Erscheinen nicht nur nach Spanien, Polen oder Israel verkauft worden, sondern, ungleich sensationeller, auch in die USA und nach England, wo man sich in der Regel kaum für Literatur aus Deutschland interessiert. Das ist schön für die DVA, schön für Rolf Bauerdick – und verwunderlich für manchen professionellen Buchmessegast, der auf der Messe nie von Bauerdick gehört hat.

Doch so verhält sich das nunmal auf einem Großevent wie der Buchmesse: Es wird unwahrscheinlich viel geredet, getratscht, gemunkelt, gekunkelt und genetzwerkelt, das aber in diversen Parallelwelten. Hier die Agenten, dort das Feuilleton, hier die einschlägigen Groß- und Kleinverlage, dort China, hier der Börsenverein, dort Splitter-, Kleinst-, und Obskurverlage, die Welt des Essens, des Sports etc. Da kehrt man also genauso erschöpft und verkatert wie mit allen möglichen Neuigkeiten und Diskursen angefüllt zurück – und dann hat man nichts von Rolf Bauerdick gehört, weiß man nicht, mit wem Alexa Hennig von Lange alles wirklich geknutscht hat, erfährt man, dass Katharina Hacker sich mit dem Suhrkamp Verlag überworfen hat. Und dann erinnert man sich, dass man doch einmal mit Tanja Graf über ihren Wechsel zu Ullstein reden und sie fragen wollte, warum sie es mit ihrem Verlag Schirmer/Graf allein nicht mehr tun wollte. Oder mit Wolfgang Ferchl darüber, was er in seinem neuen Job als Knaus-Chef bewegen will.

Auf der Buchmesse braucht es den Mut zur Lücke. Nur ist dieser Mut nicht besonders ausgeprägt. Das beweist etwa ein anderes Phänomen, dass vor allem Leser von Literaturrezensionen nur zu gut kennen. So ist der Tag, an dem die Buchmesse-Literaturbeilagen der großen Zeitungen erscheinen, immer ein großer Festtag. Der Tag jedoch, an dem sie gelesen werden, liegt immer in weiter Ferne. Also werden die Beilagen schön gesammelt, aber höchstens angelesen, denn das braucht viel Zeit. Trotzdem ist man guten Mutes. Doch dann naht schon wieder eine Buchmesse, und der Beilagenstapel wächst und wächst, vergilbt und vergilbt. Und so kommt auch ein Literaturredakteur nach der Messe zurück in seine Redaktion, wo die ersten Frühjahrsprogramme liegen, die jetzt nach dem von vielen Verlagen vorgenommenen Veröffentlichungsrhythmuswechsel  „Winterprogramme“ heißen. Piper zum Beispiel kündigt für Anfang Januar einen Roman der Martin-Walser-Tochter Alissa an. Luchterhand veröffentlicht im Januar einen neuen Roman von Ulrike Draesner, und auch die neuen Bücher der Edition Heidenreich sind versandfertig. Nach der Buchmesse ist vor der Buchmesse, und was man bis zu der einen Messe nicht geschafft hat, bleibt oft einfach liegen. Die neuen Bücher warten schließlich.

Dass man aber den Verlagen und ihren Verkäufern nicht immer folgen muss und kann, beweist ein Messehype, der vor zwei Jahren den Agenten das Glitzern in die Augen trieb. Bernhard Kegels Roman „Der Rote“ wurde damals ebenfalls gleichzeitig in die USA und nach England verkauft. Doch schaffte dieser Roman mit seiner Riesenkrake im Zentrum des Geschehens nicht, in Deutschland wenigstens eine Art Mini-Schätzing zu werden. Zumal „Der Rote“ auch nicht gut geschrieben war. Der gelernte Biologe Kegel trieb doch eher ungelenk und hölzern und mit vielen „schmunzelte er“ oder „sagte er“ seine Handlung nach vorn. Insofern will Rolf Bauerdicks Roman „Wie die Madonna auf den Mond kam“ erst noch genau geprüft werden. Lizenzverkäufe allein sind kein Qualitätsmerkmal.

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