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Buchmesse: Öl aufs Scharnier

Bei der Buchmesseneröffnung in Frankfurt herrschte großer Konsenswille. Die Türkei als Ehrengast ist ein Politikum, beinahe mehr noch als die Auftritte der beiden Koreas.

Der Sicherheitsaufwand ist enorm bei der Eröffnung dieser 60. Frankfurter Buchmesse, so groß wie seit 2001 nicht, als die Messe unter dem schockierenden Eindruck der Anschläge des 11. September stattfand. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hat sich angekündigt, und für ihn und seine Kopftuch tragende Gattin regelt die Polizei draußen vor den Messehallen den Verkehr. Drinnen braucht es gut eine Stunde für den Einlass, gleich zwei intensive Sicherheitschecks sind vonnöten. Messedirektor Juergen Boos entschuldigt sich folglich in seiner Begrüßung für die Unannehmlichkeiten, die allerdings seine prominenten Gäste in der ersten Reihe naturgemäß nicht tangiert haben. Sichtbar gut gelaunt sitzen dort neben Gül und seiner Frau Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und hören sich die Reden an, die Boos, Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth und Hessens Staatsminister Volker Bouffier vor einer in Neonfarben leuchtenden Buchreihe halten.

Steinmeier: "Türkei Scharnier zwischen Ost und West"

Vor der Eröffnung wurde spekuliert, es könnte Zoff geben und Pamuk seinen Präsidenten womöglich verbal attackieren. Doch es überwiegt das Verständnis und der Respekt für den anderen, für das Fremde, vor allem bei Steinmeier und Gül. Steinmeier hält eine sehr politische, die Finanzkrise und ihre globalen Auswirkungen miteinschließende Rede - man konnte den Eindruck bekommen, er übe sich schon als Wahlkämpfer und Kanzlerkandidat mit staatsmännischen Format. Natürlich erwähnt Steinmeier seine kulturellen Initiativen, die Gründung einer deutsch-türkischen Universität in Istanbul, die Einrichtung einer Akademie für deutsche Autoren und Autorinnen in einem Vorort von Istanbul, die Ernst-Reuter-Initiative. Doch hauptsächlich geht es ihm um die Rolle der Türkei in Europa, darum, dass ihre europäische Integration auch ein Spiegelbild der Integrationspolitik in Deutschland sei. Er spricht die Nachhilfe an, die das Land in Sachen Meinungsfreiheit benötige, lobte den vermittelnden Einsatz der Türkei im Kaukasus, ohne den es eine Beendigung des Georgien-Konflikts und eine so schnelle zumal gar nicht hätte geben können. Und er schließt mit dem ewigen abgedroschenen Bild der Brücke, die die Türkei darstelle, und mehr noch: "Die Türkei ist ein Scharnier zwischen Ost und West".

Im Anschluss hält Orhan Pamuk einer seiner berühmten Einerseits-Andererseitsreden. Deutlich prangert Pamuk an, dass Schriftsteller in der Türkei weiterhin verfolgt würden, dass You-Tube-Seiten und andere Internetinhalte gezielt von der türkischen Regierung gesperrt würden. Genauso deutlich aber arbeitet er heraus, wie lange die Türkei den Kampf zwischen Tradition und Moderne schon kämpfe, den es im Zug der Globalisierung jetzt überall auf der Welt mit ihren sich immer weiter in den Osten (China, Indien) schiebenden und auch bürgerlichen Machtblöcken gebe. Jeder Mensch, so schließt Pamuk vor dem Hintergrund von Erfahrungen, die er als junger Student in den USA gemacht hat, würde die Türkei heutzutage sofort auf der Weltlandkarte erkennen. So etwas erfreut auch Gül, den islamistisch geprägten türkischen Staatspräsidenten. Gül gibt sich überraschend liberal, kann die Sorgen und Nöte der Schriftsteller nachvollziehen und spricht von einem "Lernprozess", in dem sich sein Land befinde.

Die Türkei als Ehrengast bei der Buchmesse, die Eröffnungsfeier macht das nur zu deutlich, ist ein Politikum, fast mehr noch als die Auftritte der arabischen Länder vor ein paar Jahren oder der der beiden Koreas. Gut möglich, dass dieser Gastlandauftritt nicht so schnell in Vergessenheit gerät.

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