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Buchmessen-Bilanz: Marx und Mörderballade

Meinungsfreiheit, E-Book, Finanzkrise - das waren die am häufigsten gebrauchten Wörter der Frankfurter Buchmesse. Eine Bilanz unseres Buchmessen-Reporters Gerrit Bartels.

Nach der Messe, da unterscheidet sich die Frankfurter Buchmesse nicht groß vom Fußball, ist vor der Messe. Das weiß man immer spätestens dann, wenn sich das Gastland des kommenden Jahres  vorstellt, in diesem Fall China. Was man nach dem Auftritt der chinesischen Delegation mit ihrem Cheforganisator Jiao Guoying auch wusste, spätestens als von der „Olympiade der Bücher“ die Rede war, die China in Angriff nehmen will: Es wird ein schöner, ein perfekter Auftritt, ungeachtet all der möglichen Misstöne, die ja schon die Olympischen Spiele in Peking begleitet haben, von wegen Menschenrechte und Zensur.

Die Buchmesse hält Misstöne und irrlichternde Zwischentöne gut aus. Das bewies sie in diesem Jahr mit der Türkei als Ehrengast. Staatspräsident Abdullah Gül pries bei der Eröffnung Toleranz, Menschenwürde und Meinungsfreiheit in seinem Land, scheinbar unbeeindruckt von dem deutlichem Hinweis von Orhan Pamuk einige Minuten vorher, dass der türkische Staat weiterhin Bücher verbiete und Schriftsteller bestrafe: „Aufgrund des Paragraphen 301 des türkischen Strafrechts, mit dem man Schriftsteller wie mich einzuschüchtern versucht, werden Hunderte von Schriftstellern und Journalisten gerichtlich belangt und verurteilt.“.

Türkei zwischen Kopftuch und Kemalismus

Sie waren sehr präsent, die türkischen Autoren und Autorinnen, gerade auch in ihrer Vielheit und Vielfalt. Demonstrativ offen zeigte sich die Türkei, dazu sich stets darüber bewusst, wie schwer es wird, den richtigen Weg zwischen Kopftuch und Kemalismus nach Europa zu gehen, eine Identität zu finden, die Orient und Okzident gleichermaßen beeinhaltet. „Meinungsfreiheit“ war jedenfalls eines der am häufigsten gebrauchten Wörter auf dieser Messe, dicht gefolgt von „E-Book“ und „Finanzkrise“. Die Diskussionen um das E-Book, dazu der in den Messehallen nur wenig fassbare Hintergrund der Banken- und Finanzkrise, machten aus der 60. Frankfurter Buchmesse eine Messe zwischen Aufbruchsstimmung und Sorge, zwischen Coolness und einer gewissen Unwilligkeit. So mancher Verlagsmensch qualifizierte das E-Book als „reinen Medienhype“, nicht zuletzt weil der Onlinebuchhändler Amazon sein Kindle gar nicht vorstellte. Andere wiederum, wie etwa Michael Krüger vom Hanser Verlag, orakelten, dass bei Durchsetzung des E-Books auf breiter Front die Verlage ihre Größe um gut die Hälfte verlieren würden.

So wurde schon einmal weitsichtig über Abrechnungsmodalitäten, Copyright-Probleme und Kopierschutz geredet und nachgedacht. Und so übte sich die Branche andererseits nur allzu gern im business as usual. KiWi-Verlagsleiter Helge Malchow etwa berichtete freudestrahlend, was für einen tollen Roman von Nick Cave er eingekauft habe, eine echte Mörderballade!, und nächstes Jahr veröffentliche. Und an seinem Stand brachte Malchow dann Mario Adorf und Christian Kracht zusammen, da Adorf für ein Filmprojekt über die letzten Lebenstage von Karl Marx in Algier noch einen Drehbuchautor sucht.

"Wo geht die Journey hin?"

Auch die Promidichte war hoch: Bruce Darnell („Wo geht die Journey hin?“) und Dieter Bohlen („Ich gehe auch heute noch nur mit den größten Playern aufs Eis“, „Ich arbeite auch nicht mit irgendwelchen Frau im Koma-Zeitschriften zusammen, sondern mit der ‘Bild‘, der erfolgreichsten Zeitung Europas“, zwei Zitate aus Bohlens Buch) stellten ihre Quatsch- und Sabbelbücher vor, Münte und Gorbi waren da, Bushido und der schreckliche Paulo Coelho. Und Uwe Tellkamp bewies mit seinen seltsamen Outfits, dass großartige Literatur und ein gehöriges Maß an Verschrobenheit sich nicht ausschließen, vielleicht sogar bedingen. Und was macht das schon, wenn die Verkäufe stimmen: 50.000mal wurde „Der Turm“ gleich nach der Verleihung des Deutschen Buchpreises vom Buchhandel geordert. Bei so einer Zahl ist nicht nur der Suhrkamp Verlag oberfroh, sie beruhigt die Restbranche gleich mit.

Denn die Finanzkrise war zwar immer mal wieder ein Thema, doch direkte Auswirkungen befürchtet in der Branche vorerst niemand. Im Gegenteil: Nach einem guten Geschäftsjahr hofft man auf ein noch besseres Weihnachtsgeschäft, sind doch in Krisenzeiten bleibende Werte gefragt, mithin eben Bücher. Bei Zeitungen und Zeitschriften sieht das anders aus, sie befinden sich mittendrin in der Anzeigenkrise, und so war es eines der hartnäckigsten Gerüchte der Messe, dass es der „FAZ“ nicht gut gehe, sie gar einen Investor suche. Die „FAZ“ wiederum begegnete solchen Gerüchten mit einer zusätzlichen Anstrengung. Fünf Buchmessentage publizierte sie eine 24-seitige Messezeitung mit Hintergrundinformationen, Partyberichten und sonstigem Klatsch und Tratsch. Auf dass in Zukunft wirklich kein Ereignis so einer Messe unbetrachtet und unkommentiert bleibe - nicht einmal der Biss eines Rauhhaardackels in die Wade eines Literaturkritikers.

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